Samstag, 27. Mai 2017

Wie funktioniert epigenetische Vererbung auf der molekularen Ebene? - Weiterhin mehr Fragen als Antworten!

Wie funktioniert epigenetische Vererbung auf der molekularen Ebene? - Weiterhin mehr Fragen als Antworten!

Die aktuelle Ausgabe von "Nature Genetics" brilliert mit einer Fülle von spannender Grundlagenforschung. Im Hintergrund steht überall die sich immer mehr zuspitzende Kontroverse um einen seit langem auf dem Sterbebett liegenden Zeitgenossen namens ... Neodarwinismus.

Der Herausgeber schreibt:

"Wie epigenetische Informationen erworben, abgerufen und weitergegeben werden über Zellteilungen und womöglich über Generationen hinweg ist noch wenig verstanden."

( "Understanding of how epigenetic information is acquired, processed and transmitted through cell division, and potentially across generations, remains limited." )

(s. "Remembrance of epigenomes past", Nature Genetics 2017)

Man ging bislang davon aus, daß es im Embryo eine epigenetische "tabula rasa" gäbe, daß im Embryo epigenetisch ein "unbeschriebenes Blatt" vorläge, das nur von der genetischen Sequenz selbst dann beschrieben werden könne. Andererseits ist bekannt, daß epigenetische Informationen, die nicht in den Genen selbst enthalten sind, über Generationen hinweg weitergegeben werden können (sogenannte "genomische Prägung"). Daran besteht zwar kein Zweifel mehr. Aber wie dies auf der molekularbiologischen Ebene geschehen soll, ist - trotz Jahre langer Forschungen - noch nicht wirklich gut verstanden.

So war bisher noch kaum bekannt, wie im Embryo eigentlich erstmals die Kaskade der Gen-Ablesungen ausgelöst wird, die zunächst zur Zellteilung und wenig später dann zur Zelldifferenzierung führt. Bis zur Auslösung dieser Kaskade besteht ja jene eben erwähnte epigenetische "tabula rasa" in der Form, daß die meisten Gene, die für Zellteilung und Zelldifferenzierung abgelesen werden müssen, ja ALLE noch inaktiv sind. Wo soll da ein epigenetisches "Gedächtnis" zu finden sein, das zwar definitiv da sein muß - aber bislang eben nicht in aller Unzweideutigkeit und einigermaßen schlichter Gesetzmäßigkeit gefunden worden ist.

Zunächst einmal ist nun jedenfalls ein Hauptgen gefunden worden, das dafür verantwortlich ist, die Kaskade selbst auszulösen:

"Drei Studien finden nun ein fehlendes Teil des Embryo-Gen-Aktivierungs-Puzzels. Sie legen nahe, daß die Familie der Doppel-Homeodomain (DUX) -
Transkriptions-Faktoren als jene Instrumente dienen, die die erste Welle der Transkription in den Embryos von Planzentatieren auslösen."

(Original: "Three studies now add a missing piece of the EGA puzzle, suggesting that the family of double-homeodomain (DUX) transcription factors is instrumental in unleashing the first wave of transcription in the embryos of of placental mammals." )

In der Zusammenfassung einer dieser drei Studien heißt es (s. "Conserved roles of mouse DUX and human DUX4 in activating cleavage-stage genes ..." in Nature Genetics 2017):

"Wir legen hier mehrere Hinweise dafür vor, daß das Plazentatiere-spezifische Multicopy-Retrogen DUX4 einen Transkriptionsfaktor kodiert, der hunderte von endogenen Genen aktiviert (zum Beispiel ZSCAN4, KDM4E und Gene aus der PRAMEF-Gen-Familie), sowie retrovirale Elemente (MERVL/HERVL Gen-Familie), die die Zellteilungs-spezifischen Transkriptions-Programme bei Menschen und Mäusen definieren."

(Original: "Here, we present multiple lines of evidence that a eutherian-specific multicopy retrogene, DUX4, encodes a transcription factor that activates hundreds of endogenous genes (for example, ZSCAN4, KDM4E and PRAMEF-family genes) and retroviral elements (MERVL/HERVL family) that define the cleavage-specific transcriptional programs in humans and mice." )

Damit ist zunächst ein Hauptmechanismus der normalen Genaktivierung gefunden.

Die dritte Studie kann auch schon Hinweise darauf vorlegen, wie diese DUX-Genfamilie über den Artenstammbaum hinweg zur Kodierung verschiedener Eigenschaften verwendet worden ist. Sie trägt den epischen Titel "Bewahrung und Innovation im DUX4-Genfamilien-Netzwerk" ( "Conservation and innovation in the DUX4-family gene network" ). Dieser Epos wird erzählt anhand einer menschlichen Erbkrankheit, die die Gesichts - und Oberkörpermuskulatur beeinträchtigt und ebenfalls etwas mit dieser DUX4-Genfamilie zu tun hat.

Und schon solche neue Verwendung von Genfamilien, die sehr alt sind, zeigt ja auf - neben vielen anderen -, daß der Wechsel in der Genablesung ein, wenn nicht der zentrale Mechanismus in der Evolution und in der Artbildung sein muß. Das ist übrigens alles auch schon seit Jahrzehnten bekannt.

Nur ist eben noch wenig darüber bekannt, in welchem konkreten Zusammenspiel von Epigenetik und Genetik Artbildung und Evolution stattfinden, vor allem zunächst, wie epigenetische Informationen nicht nur über Zellteilungen hinweg, sondern sogar über Generationen hinweg als epigenetisches Gedächtnis weitergegeben werden können.

Eine weitere, in der selben Ausgabe veröffentlichte Studie an Drosophila bringt jedenfalls wieder einmal neue Hinweise auf die schiere Existenz dieses epigenetischen Gedächtnisses, allerdings wiederum ohne eine molekluarbiologische Erklärung geben zu können. Und so schreibt der Herausgeber abschließend in seiner Einleitung:

"Aber zahlreiche verwirrende Fakten in diesen Studien, sowie das Fehlen einer mechanistischen Erklärung haben solide Erklärungen bisher unmöglich gemacht und das Forschungsfeld bleibt weiter erfüllt mit Kontroversen." Der Herausgeber stellt es als ungeklärt hin, welche Bedeutung diese epigenetische Vererbung in der Lebenswelt hat. Auf das Thema Artbildung in der Evolution geht er schon gar nicht ein, obwohl der von ihm herausgegebene Epos "Bewahrung und Innovation ..." dazu ja eine Steilvorlage hätte bieten können.

( "However, numerous confounding factors in these studies and a lack of mechanistic explanations have precluded solid conclusions, and the field remains fraught with controversy. While the evidence for genetic variation as the primary basis for trait and disease heritability is abundantly clear, it is important to ascertain whether other modes of inheritance exist and, if so, how frequent they are outside the laboratory. It remains to be seen whether the lessons learned from TEI studies with Drosophila and other animals are relevant to our species. Caution is warranted, but it is an intriguing hypothesis, and one that may yet help us better understand development, disease etiology and evolution." )

Dennoch bleibt die naturwissenschaftliche Kritik am Neodarwinismus natürlich weiterhin profunde und ist eine Erklärung der Artbildung über genetische Prägung bei weitem die sparsamste und nahe liegendste Erklärung, die gegeben werden kann. (Worauf schon in zahlreichen anderen Posts hier auf GooglePlus und andernorts hingewiesen worden ist.)

Ein weiterer Artikel in derselben Ausgabe trägt den Titel "Über Giraffenhälse und die Vererbung von Chromatin-Zuständen" ( "Of giraffes' necks and the inheritance of chromatin states" ). Dieser Titel spielt natürlich auf die Lamarck'sche Vererbung erworbener Eigenschaften an. In seiner Zusammenfassung heißt es:

"Neue Studien berichten, daß Chromatin-Zustände, deren Unterdrückung aufgehoben wurde oder die besonders stark unterdrückt werden, in Tieren an die Nachkommen über viele Generationen weiter gegeben werden können. Die Weitergabe hängt von der Genom-Architektur und von Modifikationen von Histonen ab."

(Original: "New work reports that both derepressed and hyper-repressed chromatin states in animals can be transmitted to progeny for many generations. Transmission depends on genomic architecture and histone modifications." )

Natürlich wird das NICHT an Giraffen (!!!), sondern an Drosophila und anderen kleinen, leicht zu züchtenden Modellorganismen mit kurzen Generationszeiten erforscht.

Im weiteren Artikel wird dann vor allem noch auf die vielen Schwierigkeiten hingewiesen, die zuvor überwunden werden müssen, bevor man zu einer vollständigen molekularbiologischen Erklärung kommen kann. Aber deutlich wird: Sie rückt von Monat zu Monat näher.

Es handelt sich hier also insgesamt um solche Forschungen, die die sich nach und nach immer schärfer zuspitzende Kontroverse zwischen Neodarwinismus und Neolamarckismus (bzw. der sogenannten "Erweiterten Synthese der Evolutionstheorie", in der eine tragende Rolle der epigenetischen Vererbung zukommt, also der Vererbung erworbener Eigenschaften, die man vor allem dem großen französischen Evolutionsforscher Jean Baptiste de Lamarck zuschreibt) entscheiden wird.

Und es kann eigentlich kaum noch Zweifel geben: Jean Baptiste de Lamarck wird den Sieg behalten, während der Neodarwinismus bald sein Haupt zur Seite legen und den letzten Hauch tun wird.

http://www.nature.com/ng/journal/v49/n6/index.html
http://www.nature.com/ng/journal/v49/n6/index.html

Freitag, 19. Mai 2017

Die Glockenbecher-Kultur - Ihre Rätsel durch ancient-DNA-Forschung geklärt

Die Glockenbecher-Kultur - Ihre Rätsel durch ancient-DNA-Forschung geklärt

Die mysteriöse Glockenbecher-Kultur zwischen 2.750 bis 1.800 v. Ztr. gibt dank ancient DNA-Forschung nun ihr lange gehütetes Geheimnis preis, wobei gleich noch zahlreiche andere Fragen ausserdem geklärt werden:

1. Es gibt einen genetischen Unterschied zwischen den Bandkeramikern Mitteleuropas einerseits und den ersten Bauern Spaniens, Frankreichs und Englands andererseits. Dieser Unterschied ist noch zur Zeit des Auftretens der Glockenbecher in Spanien spürbar. Diese westeuropäischen Bauernkulturen haben sich also entlang der Atlantikküste ausgebreitet.

2. Die Glockenbecher-Leute in Spanien behalten diese genetische Herkunft bei, außerhalb Spaniens aber sind es genetisch Indogermanen aus der Ukraine. Wahnsinn! Hier deutet sich eine Fülle von historischen Vorgängen an, die in den nächsten Jahren nach und nach genauer geklärt werden müssen.

3. Und diese Indogermanen wandern schließlich vom Niederrhein als Glockenbecher-Leute nach England und ersetzen dort innerhalb weniger hundert Jahre die einheimische Bevölkerung genetisch fast vollständig.

Die letzte große Frage wird nun sicher auch bald geklärt werden: Was waren die Trichterbecher-Leute im Ostseeraum genetisch und wie war ihr Schicksal in diesen Zeiten?

4. Die Indogermanen brachten nicht die genetische Befähigung zur Verdauung von Rohmilch als Erwachsener mit - was ich immer schon vermutet habe, denn die wird von den Trichterbecherleuten kommen.

http://www.nature.com/news/ancient-genome-study-finds-bronze-age-beaker-culture-invaded-britain
http://biorxiv.org/content/early/2017/05/09/135962.full.pdf+html#page

Mittwoch, 10. Mai 2017

Ancient-DNA-Forscher Johannes Krause aus Jena

Ancient-DNA-Forscher Johannes Krause aus Jena

Johannes Krause erforscht Gen-Reste in archäologischen Knochenfunden und hat dabei die spannendsten Ergebnisse zutage gebracht. Habe hier auf dem Profil und auf meinem Blog oft darüber referiert. Hier kann man ihm einmal ein wenig in einem Video zuhören.

Ich bin gespannt, wie einzigartig Europa weltweit darin ist, daß es hier so oft das Aussterben und Neuentstehen ganzer Völker (und Rassen) und noch vor vergleichsweise kurzer Zeit gegeben hat. Das wird der Hauptgrund sein für seine Fortschrittlichkeit.
https://youtu.be/B_p8pzGTXc4