Evolution - Evolutionäre Anthropologie - Geschichte und Gesellschaft
Montag, 3. Oktober 2016
Altruismus-Evolution über Gegenseitigkeit ist sehr anfällig für Täuschungsversuche.
Altruismus-Evolution über Gegenseitigkeit ist sehr anfällig für Täuschungsversuche.
Auch hat der Professor für Theoretische Biologie an der Humboldt-Universität Berlin schon Anfang der 1990er Jahre darauf hingewiesen, dass gegenseitige Hilfe im Tierreich keineswegs so allseits verbreitet und solide gegründet ist wie Verwandten-Altruismus. Schon 1994 ging er deshalb den ASSYMETRIEN in Gegenseitigkeits-Verhältnissen beim Menschen nach (z.B.: "Angebot und Nachfrage bestimmen den Erfolg bei der Partnerwahl hinsichtlich Kooperation, Gegenseitigkeit und Verheiratung"), weil Assymetrien - z.B. in Angebot und Nachfrage - zur Stabilisierung von Gegenseitigkeitsverhältnissen beitragen können.
Der Züricher Evolutionäre Anthropologe Adrian Jaeggi und seine Mitarbeiter sind nun bei einem brasilianischen Indianerstamm (Tsimane) solchen Assyemtrien in gegenseitigen Austauschverhältnissen noch genauer nachgegangen.
Ergebnis:
Fleisch wurde innerhalb der Gruppe häufiger gegen Fleisch und Gartenprodukte eingetauscht, aber NICHT für Gartenarbeit, Kinder- und Krankenbetreuung. Kinderbetreuung wurde geleistet im Austausch mit Gartenarbeit, Kinder- und Krankenbetreuung, aber nicht im Austausch mit Fleisch.
Sprich, materielle Dinge, die schwerpunktmäßig Männer "erwirtschaften", werden gegen materielle Dinge getauscht, soziale Dienstleistungen, die schwerpunktmäßig Frauen erwirtschaften, werden gegen soziale Dienstleistungen getauscht.
In der Regel wurden übrigens 100 Kilokalorien Fleisch gegen 300 Kilokalorien Gartenprodukte eingetauscht. War das Angebot von Fleisch aber größer, konnte sein Preis auch sinken.
(Original: "Meat was exchanged more often for meat and for garden produce, but not for garden labor, childcare, or sickcare, while childcare was exchanged for garden labor, childcare, and sickcare, but not meat. These analyses suggest that most trade is patterned by labor specializations occurring within wealth classes: material capital for material capital and social capital for social capital. These specializations are also based on divisions of labor based on age and gender: adult males dedicate more effort to meat production and garden labor than females, while adult females spend more time harvesting garden produce and caring for the infirm than males, and adolescent females allocate proportionally more time to childcare than adolescent males.")
Am Ende schreiben die Forscher:
"Humans’ slow life history and skill-intensive foraging niche increase the payoffs to specialization and create interdependence within and among generations, thus stabilizing cooperation and fostering divisions of labor even in informal economies." Sie meinen, das weitere Wachstum sozialer Komplexität beim Menschen wäre insbesondere durch kulturelle Normen und Institutionen stabilisiert worden.
In meiner Forschungsarbeit gehe ich schwerpunktmäßig einer anderen These nach: Warum sollte Spezialisierung in einer komplexen, arbeitsteiligen Gesellschaft nicht auch von Verwandtenaltruismus geleitet sein, wo sie doch - das ist ja das Prinzip - die Kosten (für den Altruisten) erniedrigt und den Nutzen (für die Nutznießer) erhöht - ?
Dieser Zusammenhang gilt übrigens auch schon bei der geschlechtlichen Arbeitsteilung der Tsimane. Genau dieser Zusammenhang IST ja "assymetrische Gegenseitigkeit"! ;) Allerdings ist der durchschnittliche genetische Verwandtschaftsgrad bei so kleinen, endogamen Gruppen sowieso schon so hoch, so dass ein großer Teil der hier feststellbaren gegenseitigen Hilfe sowieso schon Verwandtenaltruismus ist. Deshalb können die Forscher in ihrer Studie auch gar nicht "reinen" Gegenseitigkeits-Altruismus erforscht haben. Dessen sind sie sich auch bewusst, schreiben sie doch: "The relative importance of reciprocity, as evidenced by long-term contingencies between giving and receiving, may equal or outweigh that of kinship." Und: "Kinship was associated with greater giving for all commodities." Und: "Kinship most likely provides a basis for the initial assortment of reciprocators".
Trotz ihres irreleitenden Titels und diesbezüglich vieler irreleitender Textabschnitte handelt diese Studie also wiederum (!) vornehmlich über Verwandten-Altruismus. Welcher Altruismus hier ganz unabhängig von genetischer Verwandtschaft geleistet wird, dieser Frage gehen die Forscher überhaupt nicht besonders intensiv nach. Und leider scheint ihnen die Bedeutung dieser Frage auch nicht ausreichend bewusst zu sein. Sie sollten direkt mit der Hamilton-Ungleichung an ihrer Fragestellungen herangehen, dann wird gleich alles klarer.
(Adrian Jaeggi et.al., 2016, Reciprocal Exchange Patterned by Market Forces Helps Explain Cooperation in a Small-Scale Society; Shane J. Macfarlan, 2016, Social Evolution: The Force of the Market)
http://www.cell.com/current-biology/abstract/S0960-9822(16)30793-X
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