Sonntag, 9. September 2018

Der nordeuropäische Menschentypus am Rand des Aussterbens ...

Der nordeuropäische Menschentypus am Rand des Aussterbens ...

Der Übergang zur Seßhaftigkeit und zum Getreideanbau wurde erstmals vor etwa 12.000 Jahren in Südanatolien am Oberlauf von Euphrat und Tigris im Karacadac-Gebirge vollzogen. Von dort breitete sich diese Lebensweise - sicherlich über Geburtenüberschüsse - über den ganzen "fruchtbaren Halbmond", also bis in den Levanteraum und bis in das Tagros-Gebirge des Iran hin aus. Viehzucht aber wurde in den ersten Jahrtausenden noch nicht betrieben, sondern es gab anstelle dessen Massenjagden auf Gazellenherden, die auf ihren jährlichen Nord-Süd-Wanderungen im Frühjahr und im Herbst in großen Kralen gefangen und geschlachtet wurden, und deren Fleisch getrocknet wurde. Diese Subsistenz-Grundlage ermöglichte schon um 7.000 v. Ztr. in diesem Raum Städte mit über 10.000 Einwohnern, wo man in Häusern mit kunstvollem, aufwendigen Terrazzofußboden lebte, und wo man die verstorbenen Stadtdespoten in Form überformter Schädel verehrte ("plastered skulls")!

Erst als die wilden Gazellenherden aufgrund des menschlichen Bevölkerungswachstums zu sehr dezimiert worden waren, wurden sie ab etwa 6.500 v. Ztr. von domestizierten Schafen und Ziegen abgelöst. Das war dies eine Zeit des allgemeinen Kulturumbruchs, auf den weiter unten noch genauer eingegangen werden soll. Die Menschen begannen unter anderem, Keramik anzufertigen. (Die Kulturen davor waren trotz ihrer sonstigen Fortschrittlichkeit: "akeramisch"!) Und mit diesem Kulturumbruch um 6.500 v. Ztr. war verbunden der Übergang zu Seßhaftigkeit, Getreideanbau und Viehzucht auch in Mittel- und Nordanatolien, wo nun auch das Rind domestiziert wurde. Und damit verbunden war zugleich wie so oft bei Kulturumbrüchen - siehe unten - eine Ethnogenese, das Werden eines neuen Volkes, also eines neuen Zusammenhanges zwischen Populationsgenetik und Kultur (1).

Die seßhaften Kulturen Mittel- und Nordanatoliens, die um 6.500 v. Ztr. entstanden sind, waren nun für ihre Zeit außerordentlich fortschrittlich und das - das wissen wir erst seit drei Jahren - nicht nur kulturell, sondern vor allem auch demographisch. Und das hatte weltgeschichtlich bedeutsame Folgen. Von ihnen war deshalb nachfolgend die kulturelle Entwicklung der Weltgeschichte in Europa und Westasien Jahrtausende lang getragen. Sie haben sich demographisch in immer neuen Kulturen, bzw. Völkern bis hoch hinauf nach Skandinavien ausgebreitet, dort schließlich ab 4.100 v. Ztr. als erste vollseßhafte Kultur, genannt Trichterbecherkultur, bzw. bis in die Ukraine, dort schließlich als Kugelamphoren-Kultur, die erstmals von Rindern gezogene Wagen benutzte.

Aber mit der Erfindung des von Rindern gezogenen Wagens und einer damit sicherlich verbundenen Staatlichkeit in Form solcher "Fürstentümer" wie man sie noch lange später etwa in Indien kennen lernen konnte, scheint sich die kultur- und staatenbildende Kraft der anatolisch-neolithischen Völker erschöpft zu haben. Die Zeit, in der sie weltgeschichtlich "führend", dominierend waren, schien auszulaufen.

Der nordeuropäische Menschentypus war an den Rand des Aussterbens gebracht worden

Doch mit der Ausbreitung dieser frühen ackerbautreibenden Kulturen war der nordeuropäische Menschentypus, der zuvor als Jäger und Sammler West- und Osteuropa allein besiedelt hatte, bis an den Rand des Aussterbens gebracht worden! Das wird einem ja erst bewußt, wenn man die Verhältnisse länger auf sich wirken läßt. Also der Menschentypus, in dem es schon spätestens seit 15.000 Jahren (in Sibirien nachgewiesen) blonde Haare und helle Haut gegeben hatte (2). Diese Völker lebten zwar lange Jahrtausende noch als Fischer an Fluß-, See- und Meeresufern als Reliktbevölkerungen inmitten der Bauern mediterraner Herkunft. Aber langfristig waren sie auch - als solche - zum Aussterben verdammt. "Bis auf ein kleines Dorf im Norden Galliens ...."

Nein, nicht im Norden Galliens, aber vielleicht am Oberlauf der Wolga am Südhang des Urals! Denn von dort aus kam es zu einer ungeheuren Gegenbewegung in der Weltgeschichte. Am Oberlauf der Wolga weit draußen in der Steppe, wo die ackerbautreibenden Kulturen mediterraner Herkunft noch nicht hingekommen waren, wohin sich aber - letztendlich von den japanischen Inseln und von China her kommend - schon früher als sonst in Europa Keramik und - damit einhergehend - womöglich auch schon einfacher Hirse-Anbau verbreitet hatte, bildete sich aus der Vermischung kaukasischer Bauern mit osteuropäischen Jägern und Sammlern - anzunehmender Weise in einer sogenannten "Flaschenhals-Population", in der viel Selektion stattfinden kann - ein neues, weltgeschichtlich bedeutsames Volk heraus: die Indogermanen!

Im Osten waren sie benachbart nachmaligen hunnischen und turksprachigen Völkern (die ursprünglich verbreitet waren zwischen Baikalsee und Nordindien). Im Süden waren sie benachbart den ackerbautreibenden Kulturen am Nordhang des Kaukasus und im Westen, in der Ukraine waren sie benachbart der Kugelamphoren-Kultur, die - wie gesagt - von Menschen anatolisch-neolithischer Herkunft getragen war.

Und dieses neue Volk der Indogermanen sollte nachmalig weltgeschichtlich sich als noch bedeutsamer erweisen als das schon behandelte anatolisch neolithische Bauernvolk, das sich um 6.500 v. Ztr. in Mittel- und Nord-Anatolien gebildet hatte. Über die Ausbreitung der Indogermanen ab etwa 3.500 v. Ztr. zunächst nach der Königsstadt Varna im heutigen Bulgarien und dann ebenfalls über ganz Europa bis nach England und Skandinavien ist andernorts schon berichtet worden (2). Von ihnen stammen wir Mittel- und Nordeuropäer heute im Wesentlichen ab.

Aber die eigentliche Ethnogenese der Indogermanen ist noch ebenso wenig gut geklärt wie die Ethnogenese des so bedeutsamen anatolisch-neolithischen Bauernvolkes, das um 6.500 v. Ztr. entstand (und das heute als solches als ausgestorben gelten muß - heute leben in Anatolien Menschen anderer Herkunft). Zur Ethnogese der anatolischen Neolithiker hatte sich aber schon in früheren Ancient-DNA-Studien angedeutet, daß sie zwar den Menschen in Südanatolien genetisch sehr nah standen, aber schon eine gewisse Beimischung von Menschen europäischer Herkunft in sich getragen haben müssen. Und genau diesem Umstand geht eine neue Studie genauer nach (1).

Ihre Ethnogenese beruht zu 90 Prozent auf in Mittelanatolien einheimischen Jäger-Sammler-Populationen. Aber es finden sich bei ihnen kleinere genetische Einflüsse sowohl aus dem iranischen Raum, wie aus dem Levanteraum wie auch aus dem europäischen Raum.

Die neue Studie betont, daß sich der Ackerbau nach Mittelanatolien im Wesentlichen nicht durch die Demographie der südanatolischen Völker ausgebreitet hat, sondern quasi ein eigenständiges "demographisches Regime", eine eigenständige Bevölkerungsweise mit dazugehöriger Kultur und Lebensweise ausgebildet hat, die dann eben weltgeschichtlich so außerordentlich bedeutsam war bis etwa 3.000 v. Ztr..
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1. The first Epipaleolithic Genome from Anatolia suggests a limited role of demic diffusion in the Advent of Farming in Anatolia. By Feldman et al., Abstract auf: http://eurogenes.blogspot.com/2018/07/smbe-2018-abstracts.html
2. Bading, Ingo: Kossinna lacht. http://studgendeutsch.blogspot.com/2017/11/kossinna-lacht-er-lacht-und-lacht-und.html

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