Freitag, 7. Juli 2017

Evoluieren Altruismus-Gene anders als andere Gene?

Evoluieren Altruismus-Gene anders als andere Gene?

Eine gerade neu erschienene Studie ("Genomic Signature of Kin Selection in an Ant with Obligately Sterile Workers") behandelt sehr wesentliche Fragen hinsichtlich der grundlegendsten theoretischen Grundlagen der Soziobiologie, nämlich des Verwandtenaltruismus nach William D. Hamilton. Solche Forschungen hatten Edward O. Wilson und Bert Hölldobler schon vor zehn Jahren angemahnt. Ich selbst habe gerade nicht genügend innere gedankliche Disziplin, um die hier behandelten, sehr schwierigen Fragen bis zum Ende zu durchdenken.

Man muß sich dazu auch eine zitierte vorausgegangene Studie aus dem Jahr 2009 genauer anschauen ("Genes with social effects are expected to harbor more sequence variation within and between species"). (Beide Studien sind frei zugänglich.)

Die Verwandten-Altruismus-Theorie von William D. Hamilton (1964), die die Fachrichtung der Soziobiologie begründete, ist bislang immer nur im Bereich der Theoretischen Biologie formuliert worden und anhand von Korrelationen zwischen äußerem Verhalten zu Verwandtschaftsgraden überprüft worden.

Heute können wir aber nicht nur ins Genom reinschauen, sondern auch in das Methylom, wir können uns also anschauen, wie dasselbe Genom in unterschiedlichen Geweben und in unterschiedlichen Individuen einer Verwandtschaftsgruppe - also aufgrund von Verhaltens-Spezialisierung - unterschiedlich abgelesen wird. Nur so kann ja ein unterschiedlicher Phänotyp entstehen.

Und nun wird in den Studien untersucht, wie JENE Genbereiche über Jahrhunderttausende und Jahrmillionen EVOLUIERT sind, die in den phänotypisch unterschiedlichen Individuen von Verwandtschaftsgruppen (hier Ameisenstaaten - aber natürlich anwendbar auf alle anderen sozial lebenden Tiere auch) UNTERSCHIEDLICH abgelesen werden.

Es wird hier nun vor allem unterschieden zwischen direkten und indirekten Fitnesseffekten von Genen. Also jene Gene, die in den Individuen abgelesen werden, die sich in Verwandtschaftsgruppen SELBST fortpflanzen, haben einen direkten Fitnesseffekt und jene Gene, die in den (altruistischen) "Helfern bei der Fortpflanzung" abgelesen werden, die sich aber selbst nicht fortpflanzen (oder ggfs. weniger), haben einen indirekten Fitnesseffekt. Das heißt, sie halten sich deshalb in der Population, weil sie vorteilhaft sind für die Fortpflanzung der erstgenannten Gene. Anders könnten sie sich nicht halten. So wird altruistisches Verhalten auf genetischer Ebene durch die Soziobiologie erklärt. In der Arbeit des Jahres 2009 heißt es nun:

"We find that, because genes with indirect social effects on fitness effectively experience weaker selection, they are expected to harbor higher levels of polymorphism relative to genes with direct fitness effects."

Und genau dieses Forschungsergebnis will zumindest mir intuitiv zunächst gar nicht einleuchten und als "stimmig" erscheinen hinsichtlich alles dessen, was wir heute wissen. (Den Grund dafür müßte ich aber weitaus länger ausführen und müßte ich auch erst noch länger überdenken.) Als Ergebnis wird aber unter anderem in der aktuellen Studie auch etwas festgehalten, was einem intiuitiv sofort einleuchtend erscheint:

"Reproductive-upregulated genes were older on average (i.e., lower mean phylostrata) for all comparisons except L3."

Das heißt, jene Gene, die in allen Lebensphasen (außer der L3 genannten) in Königinnen (direkte Fortpflanzung) anders abgelesen wurden als in (sterilen) Arbeiterinnen (indirekte Fortpflanzung), waren im Durchschnitt evolutionär älter als jene Gene, die in Arbeiterinnen anders als in Königinnen abgelesen wurden. Das ist klar, denn evolutionär ist die solitäre Lebensweise bei Ameisen durchgängig älter als die arbeitsteilige Differenzierung in einer Verwandtschaftsgruppe (im Insektenstaat).

Beim Übergang zur Arbeitsteilung hatte die Königin - WOMÖGLICH!!!, wahrscheinlich - selbst nur wenig Neues hinzuzulernen oder im Genom abzulesen (hm, stimmt das? steuert sie nicht den Insektenstaat mit Pherormonen?). Auf jeden Fall ist die Notwendigkeit, daß beim Übergang zur arbeitsteiligen Differenzierung die Arbeiterinnen Neues hinzulernen mußten, sprich ablesen mußten im Genom, bzw. selektieren mußten, die evolutionär jüngere.

Damit könnte man auch sagen, daß sich in evolutionär älteren Genen schlichtweg mehr Mutationen ansammeln konnten als in evolutionär jüngeren Genen (also, ich meine: neutrale Mutationen).

Soweit bin ich mit meinem eigenen Durchdenken dieser Studien schon gekommen. Aber das ist erst die Hälfte der Miete. Wie gesagt, will mir mindestens die andere Hälfte der gewonnenen Ergebnisse zunächst intuitiv gar nicht einsichtig erscheinen. (Vielleicht in einem Blogartikel dann, falls ich ihn demnächst sollte fertiggestellt bekommen.)

Zu überdenken wäre ja in diesem Zusammenhang auch noch einmal die "counter-intuitive" Erkenntnis, die Svaante Pääbo schon vor mehr als zehn Jahren veröffentlichte, nämlich daß sich das Methylom von Schimpansen und Menschen im Hoden mehr unterscheidet als im Gehirn. Womöglich sollte auch diese Erkenntnis berücksichtigt werden, wenn man die Verhältnisse diesbezüglich bei Ameisen-Königinnen und -Arbeiterinnen überschauen will.

Ich kann nur nicht verstehen, warum bei den Genen mit indirekter Fißness WENIGER Selektion in der Evolution stattgefunden haben soll, obwohl doch gerade SIE (vermutlich) das fortschrittlichere Verhalten mit sich gebracht haben. Wie gesagt, das muß ich selbst noch weiter durchdenken.

Austausch darüber immer erwünscht!


Michael R. Warner Alexander S. Mikheyev Timothy A. Linksvayer: Genomic Signature of Kin Selection in an Ant with Obligately Sterile Workers. In: Mol Biol Evol (2017) 34 (7): 1780-1787. DOI: https://doi.org/10.1093/molbev/msx123, Published: 13 April 2017, https://academic.oup.com/mbe/article/34/7/1780/3610963/Genomic-Signature-of-Kin-Selection-in-an-Ant-with
https://academic.oup.com/mbe/article/34/7/1780/3610963/Genomic-Signature-of-Kin-Selection-in-an-Ant-with

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