Sonntag, 9. Juli 2017

Wie evoluieren Genablesezustände?

Wie evoluieren Genablesezustände?

Einfache Organismen am Übergang zur Mehrzelligkeit wie Dictyostelium oder Volvox sind - unter anderem - aufgrund der Kleinheit ihres Genoms super Modellorganismen, um zu verstehen, wie Evolution arbeitet. Unter den Grünalgen sind erst erstaunlich spät einige Abstammungsgruppen evoluiert, die Mehrzelligkeit ausgebildet haben so wie Volvox, nämlich erst seit der Zeit vor 250 Millionen Jahren (also lange nach der kambrischen Revolution).

Volvox spielt in der Grundlegung der naturwissenschaftsnahen Philosophie von Mathilde Ludendorff schon 1921 eine zentrale Rolle. Nach ihrer philosophisch-naturwissenschaftlichen Deutung hat erst die Einführung des Alterstodes beim Übergang zur Mehrzelligkeit, sprich der Verlust der potentiellen Unsterblichkeit, für die sich die Somazellen entscheiden, und der dabei entstehende Antagonismus innerhalb der Organismen zwischen Vermehrungswille und Differenzierungswille zur Höherentwicklung der Arten geführt. (Also der Antagonismus zwischen dem Ablesen von Vermehrungsgenen und Differenzierungsgenen.)

Was ist nun der gegenwärtige Stand der Forschung zu diesen Themen? Schon seit knapp zehn Jahren ist der grundsätzliche Mechanismus verstanden, aufgrund dessen sich die äußeren, dem Alterstod unterworfenen Somazellen bei Volvox für die "potentiell unsterblichen" Fortpflanzungszellen aufopfern, die sie beschützen, bis sie neue Organismen ausgebildet haben und selbständig weiter leben können. (Dann entlassen die altruistischen Somazellen ja die neuen Organismen aus ihrem Körper und sinken als Leiche zu Boden.)

Dieser Mechanismus besteht darin, daß die Somazellen unter anderem oder vor allem die Entstehung von Chloroplasten unterdrücken. (Darüber schrieb ich schon 2008 auf meinem Blog.)

Nun wird aber in einer neuen Studie ("Genetic basis for soma is present in undifferentiated volvocine green algae", Mai 2017) festgestellt, dass jene Genabschnitte, die für die Unterdrückung der Chloroplasten zuständig sind, keineswegs erst mit der Mehrzelligkeit selbst entstanden sind, sondern schon zuvor bei den einzelligen Vorfahren irgendeine (noch nicht vollständig geklärte) Funktion hatten.

Man fühlt sich hier natürlich sofort an das erst jüngst von Simon Conway Morris thematisierte evolutionäre Prinzip der Inhärenz erinnert. - Spannender jedoch noch sind nun die unterschiedlichen Hypothesen, mit denen die Wissenschaftler sich die "Kooption" eines schon vorher bestehenden Gens für eine womöglich ganz neue Funktion beim Übergang zur Mehrzelligkeit möglichst wirklichkeitsnah glauben vorstellen zu können.

In der Grafik wird unter a) das ursprüngliche einzellige Ablesemuster dargestellt, das sich unter b) schon aufgrund von Anpassung an das Leben in einer losen Einzeller-Kolonie variabler gestaltete, unter c) bis e) wird dann gemutmaßt, dass das Gen sowohl räumlich innerhalb des mehrzelligen Organismus wie zeitlich innerhalb der Entwicklung des Organismus neu abgelesen wurde, dabei aber ZUGLEICH! auch seine ursprüngliche Funktion beibehalten haben könnte.

Jedenfalls bekommt man hier ein Gefühl dafür, wie sich grundsätzlich Ablese-Muster evolutiv bei der Artbildung verändern können. Es macht dies auch bewußt, dass man grundsätzlich im Methylom (in den Ablesezuständen von Genen) unterscheiden muß: Werden dabei nur basale Körperfunktionen gesteuert (Zellfunktionen und Zellvermehrung) oder wird Zelldifferenzierung gesteuert.

Zum Verständnis von Evolution überhaupt kommt es natürlich vor allem darauf an, zu erkennen: Wann und wo wird Zelldifferenzierung gesteuert? Und wie kann ich das möglichst sauber aus dem Methylom-"noise", aus dem "Umgebungslärm" jener Genablesezustände herausheben und für sich erforschen, damit ich dabei nicht ständig die Genablesung mit erforsche, die nur zur Aufrechterhaltung basaler Körperfunktionen notwendig ist. Letztere ist ja für einen großen Teil der Fragestellungen keineswegs mehr so wichtig.

Soweit ich das überblicke, hat man noch keine guten Mittel gefunden, um diese beiden Arten von Genablesung wirklich sauber zu unterscheiden. Aber ich mag mich täuschen. Vielleicht bin ich da noch nicht auf die richtigen Studien gestoßen, denen das zu entnehmen ist.

Es läuft alles auf eine "great theory of everything" hinsichtlich der Evolution der Arten hinaus. In dieser wird der schon von Mathilde Ludendorff umsonnene Antagonismus zwischen Zellvermehrungsgenen und Zelldifferenzierungsgenen - so wie das Gerold Adam schon vorausgesagt hat - sicher eine große Rolle spielen, wenn nicht überhaupt entscheidend sein!!!

Im Grunde ist das jetzt schon gut zu erkennen.

https://www.researchgate.net/publication/316890677_Genetic_basis_for_soma_is_present_in_undifferentiated_volvocine_green_algae
https://www.researchgate.net/publication/316890677_Genetic_basis_for_soma_is_present_in_undifferentiated_volvocine_green_algae

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