Evolution - Evolutionäre Anthropologie - Geschichte und Gesellschaft
Montag, 30. Oktober 2017
Social Brain-Hypothese nicht unumstritten
Die Social Brain-Hypothese (SBH) des britischen Anthropologen Robin Dunbar und anderen, die seit den 1980er Jahren entwickelt wurde und nach der die Gehirnevolution bei Primaten mit den Anforderungen der Gruppengröße in Zusammenhang steht und es deshalb eine Korrelation zwischen beiden gibt, ist nicht unumstritten (1, 2).
Ich habe bislang immer große Stücke auf sie gehalten und tue es auch weiterhin.
Aber manche Forscher meinen, daß diese Hypothese bislang nicht zuverlässig genug durch Daten abgesichert ist (2). Außerdem gibt es alternative Erklärungen für die Gehirnevolution, etwa ökologische Zwänge (2). Sie formulieren ihre Einwände aber mit Zurückhaltung und ein ähnlich "großer Wurf" ist ansonsten nirgendwo erkennbar.
Dunbar argumentiert (1), daß es sechs Schlüsselkriterien gibt, die die Social Brain-Hypothese allesamt erklären kann, von denen alternative Hypothesen aber jeweils nur einzelne erklären können:
(i) primates have larger brains than other animals
(ii) quantitative variation in primate brain size
(iii) brain size correlates with group size in primates
(iv) primate sociality is complex (bonded)
(v) pairbonded non-primates have large brains
(vi) some primates are more innovative technically
Und er sagt dazu (1):
"Because SBH sensu stricto is about the quality of relationships (and their functionality as coalitions) and not simply about group size, this hypothesis naturally also explains the evolution of pairbonding in non-primates, thus providing a unitary explanation for brain evolution across all mammals and birds. At the same time, it is clear that the other components (or hypotheses) play significant structural roles."
Er ignoriert also nicht die Rolle anderer Zwänge und Selektionsdrücke wie eben vor allem den Lebensraum (Ökologie). Tatsächlich aber legt Dunbar inzwischen auf den Zusammenhang zwischen Paarbindung und Gehirnevolution (bei allen Säugetieren, die nicht Primaten sind) fast das stärkste argumentative Gewicht.
Ich glaube also, die SBH bleibt weiter von Bedeutung und sollte durch ähnlich umfassende Hypothesen in einheitlicher Weise erweitert und ergänzt werden.
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1. Dunbar/Shultz: Why are there so many explanations for primate brain evolution? Juli 2017, http://rspb.royalsocietypublishing.org/content/284/1865/20171765
2. Lauren E. Powell, Karin Isler, Robert A. Barton: Re-evaluating the link between brain size and behavioural ecology in primates, Oktober 2017 http://rstb.royalsocietypublishing.org/content/372/1727/20160244
http://rstb.royalsocietypublishing.org/content/372/1727/20160244
Sonntag, 29. Oktober 2017
Die junge Jane Goodall - Der bislang beste, zugängliche Film
Von und mit der älteren Jane Goodall gibt es unzählige Video's auf Youtube. Dies hier ist einer der wenigen wunderbaren und zugänglichen Film über die junge Jane Goodall und über die ersten Jahre ihrer Schimpansen-Forschungen in Gombe, Tansania.
Seit einem Jahr ist er auf Youtube zugänglich. Sicher ist er eine gute Vorbereitung auf den neuen Film "Jane", der derzeit in die Kino's kommt, und der sicherlich ähnlich sehenswert sein wird - dem Vorschaufilm nach aber vermutlich noch emotionaler.
Übrigens beides Filme, die man sich unbedenklich und mit großem Gewinn mit Kindern ansehen kann.
https://www.youtube.com/watch?v=DlmjF39vziY&t=1067s
https://www.youtube.com/watch?v=DlmjF39vziY&t=1067s
Samstag, 28. Oktober 2017
Unterliegt ein ADHS-Gen (Neugier-Gen) ("rs1800955") der Selektion in menschlichen Gesellschaften?
Schon 1998 wurde in einer Studie (1) gezeigt, daß die siebenfache Wiederholung eines Genabschnitts in einer Steuersequenz jenes Gens, das mit der Dopamin-Verarbeitung im Gehirn zu tun hat, 3 % der Varianz des Vorkommens von ADHS weltweit erklären kann (1). Diese siebenfache Sequenz gibt es bei Chinesen und Buschleuten gar nicht, bei indianischen Ureinwohnern Amerikas und bei Europäern aber doch.
Ich selbst bin reinerbig CC für ein SNP, ein "Neugier-Gen", nämlich "rs1800955" (C;C) (2-4).*) Dieses wird mit dieser siebenfachen Steuerungssequenz im Zusammenhang gesehen und es kann offenbar einen ähnlichen Anteil der weltweiten Varianz von ADHS erklären, und wurde deshalb jüngst - weil es leichter zu sequenzieren ist - auch Gegenstand einer ancient DNA-Studie zu den Andenbewohnern (5).
Von Knochenfunden von 79 Personen von Völkern in den Zentral-Anden in Südamerika, die dort seit 5.500 v. Ztr. lebten, bis 3.500 v. Ztr. nomadisch, seit 3.500 halbseßhaft und seit 1.800 v. Ztr. seßhaft, ist die Änderung in der Häufigkeit es Vorkommens dieses SNP untersucht worden (5). In der Studie heißt es zunächst (5):
"Most studies on the DRD4 gene have largely focused on the 7 repeat allele of the 48 base-pair VNTR in exon 3. Since we aim to address our hypothesis using ancient DNA, issues of preservation would prevent us from observing a polymorphism involving so many base pairs. For this reason, this study looks at the −521 C/T SNP (rs1800955) instead."
Ergebnis der Studie: In den frühesten nomadischen Völkern (n=9) hatten 33 Prozent CC, 33 Prozent CT und 33 Prozent TT. In der Zeit danach verschob sich das Verhältnis bis zu den vorkolumbianischen Bevölkerungen hin zu 50 Prozent TT, das auch der Häufigkeit im modernen Lima entspricht, in dem der CC-Typ nur noch zu etwa 14 Prozent vertreten ist. In der Studie heißt es aber auch (5):
"The populations from the Americas exhibit the highest mean frequency of the T allele (0.63) referring to the 100 Genome Project data. On the individual population level ALFRED reveals a high amount of diversity between native American groups with T allele frequencies ranging from ~0.62–0.95. The Karitiana, an indigenous Amazonian group practicing a foraging lifestyle mixed with horticulture and little contact to agricultural groups, exhibit one the highest DRD4 -521 T allele frequencies."
Also kleine Gruppen indianischer Ureinwohner heute können auch einen nur sehr geringen Anteil des genannten Neugier-Gens aufweisen. Von den derzeit 832 Menschen, die ihre Gensequenzierungsdaten auf OpenSNP hochgeladen haben, haben übrigens 31 % CC und nur 1 % TT (4). Aber unter diesen Menschen werden natürlich überrepräsentativ viele vertreten sein, die sich für Neues interessieren! :-) Weiter heißt es in der Studie (5):
"We find a slightly significant lower frequency of the C allele that is thought to contribute to the novelty seeking phenotype in samples deriving from state level societies (Wari, Inca, Modern) of the Central Andes than in all earlier populations."
Außerdem war der CC-Typ in unteren Höhenlagen der Anden häufiger vertreten als in höheren Höhenlagen. Weiter heißt es in der Erörterung der Ergebnisse:
"The comparisons we made suggest that differences in social structure and political organization might be the driving factors. This of course would make it necessary to assume that Novelity Seeking or risk-taking behavior is actually beneficial in human groups exhibiting lower grades of hierarchical structure and specialization."
Weiter wird angeführt, daß bei Primaten Tiere mit höherem Status häufiger ein solches Neugier-Gen aufweisen:
"This to some extend correlates with the hypothesis that exploratory behavior and intense excitement in response to novel stimuli, impulsive decision making, and quick loss of temper and avoidance of frustration associated with the Novelity Seeking phenotype are less beneficial in highly structured social environments with specialized social/economic roles when the individual does not belong to a socially privileged group or has political power."
Nun, in arbeitsteiligen Gesellschaften wird der Anteil von Neugier-Gen-Trägern sicher geringer sein dürfen und sie werden auch stabiler sein, wenn ihr Anteil geringer ist. Der Erörterung ist aber zu entnehmen, das noch nicht alle Daten widerspruchsfrei zu dieser These passen. Immerhin ist es einmal eine interessante These.
*) Inzwischen wurden bei MyHeritage auch die Gene meiner Mutter sequenziert. Aber leider finde ich den Rohdaten dieser Sequenzierung unter dem Stichwort "rs1800955" keine Auskunft!
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1. http://www.pnas.org/content/99/1/309.long
2. https://en.wikipedia.org/wiki/Rs1800955
3. https://www.snpedia.com/index.php/Rs1800955
4. https://opensnp.org/snps/rs1800955#users
5. https://link.springer.com/article/10.1007/s40750-015-0033-5
6. http://studgendeutsch.blogspot.com/2017/05/mein-genom-sagt-dass-ich-eine-niete-im.html
https://link.springer.com/article/10.1007/s40750-015-0033-5
https://link.springer.com/article/10.1007/s40750-015-0033-5
Donnerstag, 19. Oktober 2017
Der VBIO weiter auf Retro-Linie
Bernd Müller-Röber, Professor für Molekularbiologie an der Universität Potsdam und Präsident des Verbandes Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO), nennt in einem neuen Artikel (1) die Berücksichtigung biologischer Erkenntnisse über den Menschen im Bereich von Politik und Gesellschaft eine "Übertragung in fachfremde Kontexte"!!!!
Molekularbiologen, ihre Tunnelblicke und die Scherze, die dabei heraus kommen! Als ob ich als Mensch und Teil einer Gesellschaft aufhören würde, ein biologisches Wesen zu sein. Als ob die heute in der Wissenschaft dominierende "Social Brain-"Theorie keine biologische Theorie wäre, als ob Hirnforscher Gerhard Roth nicht schon längst davon sprechen würde, daß Biologie sogar menschliche Seele "macht" (vgl. "Wie das Gehirn die Seele macht"), und daß Biologen und Hirnforscher sehr viel dazu sagen können, wie sie das macht.
Als ob also Gesellschaft und Politik für einen Biologen fachfremde Gebiete sein können! Als ob Biologie für Gesellschaftswissenschaften und Politiker fachfremde Gebiete sein dürfen! Aber Bernd Müller-Röber sagt:
"Im schlimmsten Fall müssen die Biowissenschaften zur Begründung oder Widerlegung sozialer, gesellschaftlicher, ökonomischer oder gar weltanschaulicher Hypothesen herhalten."
Im schlimmsten Fall? - Nein, es ist umgekehrt: Im schlimmsten Fall werden soziale, gesellschaftliche, ökonomische und weltanschauliche Hypothesen über den Menschen und seine Vergesellschaftung aufgestellt unter Nichtberücksichtigung des biologischen Forschungsstandes. So herum wird doch ein Schuh daraus! So muß ich doch als Präsident eines VBIO argumentieren. Der Mensch ist ALS biologisches Wesen kulturfähig. Hier "Fächergrenzen" etablieren zu wollen, ist so etwas von Retro und "80iger", das glaubt man ja gar nicht.
Dann sagt er: "Wer erinnert sich nicht an Thilo Sarrazin, der vor einigen Jahren verkündete 'Deutschland schafft sich ab' - und dies unter anderem auch genetisch begründen wollte."
Ist ja nicht zu glauben! Wie konnte er nur! Wahrscheinlich wieder so eine "Übertragung in fachfremde Kontexte", die einen aus dem molekularbiologischen Tunnelblick herausreißen möchte. Igittigitt, ist das unangenehm! Aber seit wann würde der VBIO auch bezüglich solcher Themen durch differenzierte, kenntnisreiche, informierte Stellungnahmen glänzen. Fast möchte man meinen, die Befähigung zum Gegenteil sei das Auswahlkriterium für die Wahl zum dortigen Präsidenten ....
1. Bernd Müller-Röber: Biowissenschaften zwischen Ignoranz und Instrumentalisierung. In: Biologie in unserer Zeit, 2017, http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/biuz.201770502/full
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/biuz.201770502/full
Die Nutzung von Höhlen als Grabstätten lebt Anfang des Neolithikums wieder auf
Um 10.000 v. Ztr. nutzten unsere Vorfahren in Nordeuropa Höhlen als Grabstätten recht häufig. Die Häufigkeit der Nutzung ging danach aber zurück. (Vielleicht auch, weil die Siedlungsdichte infolge der Wiederbewaldung geringer wurde.)
Aber als mit dem Anfang des Neolithikums (ab 5.500 v. Ztr.) neue Bauernvölker von Süden mit sehr viel höherer Siedlungsdichte zuwanderten, intensivierte sich auch wieder die Nutzung von Höhlen als Grabstätten. Darüber gab es 2013 eine Tagung (1).
Allerdings scheint man 2013 noch nicht in Rechnung gestellt zu haben, was inzwischen bekannt geworden ist, nämlich daß durch die Zuwanderung von Auswärtigen geographische Inseln entstanden (etwa an Seen und Flüssen), in denen die einheimische Bevölkerung kulturell und genetisch weitgehend unverändert noch mehrere Jahrhunderte und Jahrtausende so weiter lebte. Ich vermute stark, daß diese Einheimischen dann die Höhlen wieder verstärkt als Bestattungsstätten nutzten. Wenn ich mich recht erinnere, waren es doch auch Knochen aus einer Höhle in Westfalen, deren ancient-DNA-Untersuchung die die von mir gerade geschilderte Entwicklung erstmals aufgezeigt haben.
Und soweit ich sehe, sind solche Zusammenhänge in der Arbeit von 2013 (1) noch gar nicht vorausgesetzt, woran gut erkennbar ist, wie schnell sich manchmal der Stand des wissenschaftlichen Wissens ändern kann.
Bandkeramiker waren genetisch etwa zur Hälfte europäisch
Übrigens ist es ein Irrtum, wenn man glaubt, die aus Süden zugewanderten Bauernvölker wären genetisch "uneuropäisch" gewesen. Sie stammten genetisch und kulturell aus Nordwest-Anatolien, standen aber genetisch genau auf der Mitte zwischen den nordeuropäischen und den vorderorientalischen Völkern. Als solche gibt es sie heute auch in Kleinasien gar nicht mehr.
Die zuwandernden Bauern waren also durchaus auch zu etwa der Hälfte genetisch europäisch. Vermutlich entstanden diese Bauernvölker in Nordwestanatolien durch Vermischung vorderorientalischer vorkeramischer Bauernkulturen mit europäischen Jäger-Sammler-Bevölkerungen.
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1. Holes in the world: the use of caves for burial in the Mesolithic.
https://www.academia.edu/34761578/Holes_in_the_world_the_use_of_caves_for_burial_in_the_Mesolithic
https://www.academia.edu/34761578/Holes_in_the_world_the_use_of_caves_for_burial_in_the_Mesolithic
Samstag, 14. Oktober 2017
Wie die Hautfarbe in Afrika und außerhalb Afrikas evoluierte
Eine neue Studie bringt folgende Erkenntnisse mit sich (1):
1. Das Gen, das in Europa helle Haut hervor bringt (SLC24A5), findet sich auch in Äthiopien. Dorthin mag es mit den ersten Bauern des Levanteraumes gekommen sein (oder später). Aber trotz des Besitzes dieses Gens haben viele Afrikaner dunklere Haut als man bei Besitz desselben annehmen sollte.
2. Gene, die helle Körpermerkmale bei Europäern hervorrufen (HERC2 und OCA2), finden sich auch bei den Buschleuten in Südafrika. Sie sind schon dort entstanden (sie gelangten nicht über Rückwanderung dorthin, sondern von dort nach Europa).
3. Ein weiteres Gen (MFSD12) braucht Sequenzen, die seine Ablesung verhindern, damit die dunkle Hautfarbe entsteht, für die heute Afrikaner bekannt sind, aber nicht nur bei ihnen, sondern auch bei Melanesiern und australischen Ureinwohnern.
Hier noch der Originaltext:
"The first surprise was that SLC24A5, which swept Europe, is also common in East Africa—found in as many as half the members of some Ethiopian groups. This variant arose 30,000 years ago and was probably brought to eastern Africa by people migrating from the Middle East, Tishkoff says. But though many East Africans have this gene, they don’t have white skin, probably because it is just one of several genes that shape their skin color. The team also found variants of two neighboring genes, HERC2 and OCA2, which are associated with light skin, eyes, and hair in Europeans but arose in Africa; these variants are ancient and common in the light-skinned San people. The team proposes that the variants arose in Africa as early as 1 million years ago and spread later to Europeans and Asians. “Many of the gene variants that cause light skin in Europe have origins in Africa,” Tishkoff says. The most dramatic discovery concerned a gene known as MFSD12. Two mutations that decrease expression of this gene were found in high frequencies in people with the darkest skin. These variants arose about a half-million years ago, suggesting that human ancestors before that time may have had moderately dark skin, rather than the deep black hue created today by these mutations. These same two variants are found in Melanesians, Australian Aborigines, and some Indians. These people may have inherited the variants from ancient migrants from Africa who followed a “southern route” out of East Africa, along the southern coast of India to Melanesia and Australia, Tishkoff says. (...) This great migration may have included people carrying variants for both light and dark skin, but the dark variants later were lost in Eurasians. To understand how the MFSD12 mutations help make darker skin, the researchers reduced expression of the gene in cultured cells, mimicking the action of the variants in dark-skinned people. The cells produced more eumelanin, the pigment responsible for black and brown skin, hair, and eyes. The mutations may also change skin color by blocking yellow pigments: When the researchers knocked out MFSD12 in zebrafish and mice, red and yellow pigments were lost, and the mice’s light brown coats turned gray. “This new mechanism for producing intensely dark pigmentation is really the big story,” says Nina Jablonski, an anthropologist at Pennsylvania State University in State College."
1. How Africans evolved a palette of skin tones. Ann Gibbons; Science 13 Oct 2017; Vol. 358, Issue 6360, pp. 157-158; DOI: 10.1126/science.358.6360.157
http://science.sciencemag.org/content/358/6360/157
http://science.sciencemag.org/content/358/6360/157
Hinweise darauf, daß sexuelle Prägung Heiratspartner und Eheglück mitbestimmen
Im Nachruf auf den britischen Verhaltensforscher Patrick Bateson (1) stehen Dinge, die ich so explizit noch gar nicht wußte:
_"Pat extended his work to sexual imprinting, by which adult mating preferences are influenced by previous experience. He found that quail preferred slightly novel mates to highly familiar or highly novel mates. Pat thus revealed an experiential mechanism that tends to reduce both inbreeding and outbreeding, and which happened to be broadly consistent with genetic evidence predicting degrees of interrelatedness conducive to optimal outbreeding. He then reasoned that such a rule might apply in other sexually reproducing species and found evidence in the sociological literature for reduced marital success in certain human societies where potential sexual partners live together for extended periods before puberty. He presented these findings with skill and clarity in seminars, publications, and media interviews—no mean achievement
for a topic as complex and politically sensitive as human sexual behavior."_
Nun, heute wissen wir aus einer Studie aus Island, daß jene - über die nachfolgenden Generationen hinweg die meisten Nachkommen haben, die (glaube) mit ihrem Ehepartner auf der Ebene von Cousins und Cousinen 2. Grades verwandt sind.
Aber über den Einfluß von sexuellen Prägungen auf das übrige Leben ist wohl noch längst nicht alles erforscht.
1. Sir Patrick Bateson (1938–2017) by Brian J. McCabe. In: Science 13 Oct 2017, http://science.sciencemag.org/content/358/6360/174
http://science.sciencemag.org/content/358/6360/174
Ein Science War-Kämpfer gibt sich geschlagen - Nach 40 Jahren!
Bruno Latour, der in den 1970er Jahren Naturwissenschaft in "jugendlichem Enthusiasmus, wie er heute sagt, als bloßes "soziales Konstrukt" beschrieben hat, anerkennt heute, welche großen Gefahren in antiwissenschaftlichen Haltungen bestehen. Er stellt das Thema "Klima" in den Vordergrund.
Mir wären diesbezüglich zahlreiche andere Themen mindestens ebenso wichtig, bezüglich deren es ebenso antiwissenschaftliche Haltungen gibt.
Aber immerhin, sein Grundgedanke, daß antiwissenschaftliche Haltungen, die er in seiner Jugendzeit kräftig gefördert hat, grundschädlich für die weitere Entwicklung moderner Wissensgesellschaften ist, ist ja schon einmal begrüßenswert. Er sagt unter anderem folgendes:
"Um allgemein anerkannte Tatsachen zu haben, braucht man eine allgemein anerkannte Wirklichkeit. Das muß institutionalisiert sein in Kirchen ..."
- nanu, ausgerechnet Kirchen nennt er als erste, jene Institution, die am meisten und längsten von nicht allgemein anerkannten Tatsachen schwätzt??? Egal ...-
"... in der Schule, in seriösem Journalismus, in Peer Review. (...) Wir müssen die Autorität der Wissenschaft zurück gewinnen."
(Original: "To have common facts, you need a common reality. This needs to be instituted in church, classes, decent journalism, peer review. … (...) We will have to regain some of the authority of science. ")
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1. ‘Science wars’ veteran has a new mission - Jop de Vrieze, Science Magazin, Octobre 2017, science.sciencemag.org/content/358/6360/159
http://science.sciencemag.org/content/358/6360/159
Freitag, 13. Oktober 2017
Y-Chromosom - Haplogruppe I - nicht vorteilhaft, nicht von den Indogermanen
Bislang war man davon ausgegangen, daß die Haplotypen des Y-Chromosoms wenig phänotypische Bedeutung hätten. Von wegen (1-4). Ausgerechnet meine Haplogruppe I wird gerade zum Aufhänger für die Erkenntnis benutzt, daß auch das Y-Chromosom so unbedeutend für den Phänotyp nicht sein muß (1). Denn schon seit 2012 ist bekannt (2):
"In Deutschland ist die Koronare Herzkrankheit für 42 Prozent aller Todesfälle verantwortlich. Dabei ist das Risiko für Männer etwa doppelt so hoch wie für Frauen. (...) Männer mit einem Y-Chromosom der Haplogruppe I tragen ein um 50 Prozent erhöhtes Risiko für die koronare Herzerkrankung - unabhängig von anderen Risikofaktoren wie erhöhten Blutfettwerten, Bluthochdruck oder Rauchen."
Die Haplogruppe I ist vor 20.000 Jahren, also während der Eiszeit entstanden. Ganz allgemein ist das Zentrum der geographische Verteilung von Haplogruppe I heute in Skandinavien, wo diesen Y-Chromosomentyp im Grenzbereich zwischen Norwegen und Schweden über 50 % aller Männer besitzen, ebenso in Nordschweden. Ein weiterer Schwerpunkt der Verteilung zieht sich von Albanien nach Osten. In Albanien besitzen es auch über 50 % der Männer. Und in Rumänien und in der Ukraine - ebenso wie in Norddeutschland - über 40 %.
Da einer der typischen Haplogruppentypen, der in der Regel mit den indogermanischen Zuwanderern verbunden wird (R1b1b2) diese erhöhte Wahrscheinlichkeit nicht aufweist, scheint das eine Eigenschaft zu sein, die vorwiegend auf Bevölkerungen vor der indogermanischen Zuwanderung in Nordeuropa zurückgehen könnte. (Zum Beispiel mein Unterhaplotyp I-M223 - den heute etwa 70 Millionen Menschen weltweit besitzen - wurde schon bei einem neolithischen Spanier wieder gefunden.) Mehr hier (5).
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1. Akhlaq A Maan, James Eales, Artur Akbarov, Joshua Rowland1, Xiaoguang Xu, Mark A Jobling, Fadi J Charchar and Maciej Tomaszewski: The Y chromosome: a blueprint for men’s health? EJHGOpen ; European Journal of Human Genetics (2017) 25, 1181–1188; doi:10.1038/ejhg.2017.128; published online 30 August 2017, http://www.nature.com/ejhg/journal/v25/n11/abs/ejhg2017128a.html
2. KK: Herz - Krankheiten werden vererbt. In: Aponet, 10. Februar 2012, https://www.aponet.de/aktuelles/ihr-apotheker-informiert/2012-02-koronare-herzkrankheit-wird-vererbt.html
3. Universität von Leicester: Männer mit Haplogruppe I auf dem Y-Chromosom haben 50% größere Gefahr des Entwickelns der Koronaren Herzkrankheit. 18.6.2013, https://www.news-medical.net/news/20130618/10353/German.aspx
4. Herzerkrankungen: Eine Ursache liegt auf Y-Chromosom. Pharmazeutische Zeitung, 9.10.2012, https://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=40874
5. Bading, Ingo: http://studgendeutsch.blogspot.de/2017/05/meine-neigung-zu-ubergewicht-ablesbar.html
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=40874
Mitmach-Genetik - Drittmeinungen einholen!
Mitmach-Genetik - ich bin seit Jahren ein großer Freund und Propagandist derselben. Und ich habe schon mehrere Blogartikel über meine eigenen Gene geschrieben. Das Sequenzieren derselben wird ja auch immer günstiger. Bei Myheritage kostet es derzeit nur 60 Euro. Ein Spottpreis.
Englisch heißt das in der Wissenschaft übrigens "Direct-to-consumer genetics" (DTC-GT). Und gerade wird in einem wissenschaftlichen Artikel (1) ein Überblick über derzeitige Angebote gegeben, der sehr nützlich ist, und in dem auch jemand wie ich viel Neues erfährt.
Insbesondere ist hier davon zu erfahren, daß es inzwischen im Internet zahlreiche Angebote gibt, um sich eine "dritte Meinung" über den Informationsgehalt seiner Gene bei heutigem Forschungsstand einzuholen ("Third party interpretation" TPI). Zweitmeinungen hatte ich ja schon erhalten und ich hatte da nicht alles glauben können. Gut, wenn es jetzt sogar Drittmeinungen gibt!!! :)
Im Grunde handelt es sich bei allem immer nur um Auswertung der aktuellen Forschungsliteratur und dessen, was sie über die eigenen Gene bislang sagen kann. Es hat nicht jeder gelernt, mit Forschungsliteratur umzugehen, aber man kann es sich hierbei ja auch aneignen. Jedenfalls darf man da natürlich nicht gleich alles für bare Münze nehmen. Es können sich massenhaft Irrtümer einschleichen, die Forscher selbst schon können sich geirrt haben oder jene, die die Studien auswerten für die "Drittmeinung". In der neuen Studie heißt es nun über solche Angebote:
"Most of the websites we observed use single nucleotide polymorphism (SNP)-based raw data derived from DTC-GT companies such as 23 and Me, Ancestry.com, and FamilyTreeDNA, (...). Some TPI sites provide specific testing related to nutrigenomics as well as methylation and 'detox,' and often suggest supplements to go along with their interpretations (geneticgenie.org, nutrahacker.org). Others primarily assess no-medical traits including ancestry and athletic performance (GEDmatch.com, athletigen.com). There are some sites with a research focus (DIYgenomics, OpenSNP, dna.land), while others provide health data based on genome-wide untargeted analysis. In this study, we selected five websites that analyse SNP-based genomic data to provide health-related information: Codegen.eu, Interpretome, LiveWello, Enlis Personal and Promethease. Several of these websites characterize themselves as primarily having a literature search function. They operate by querying different publicly available databases such as SNPedia, dbSNP, Genecards, GET-Evidence and matching consumer 'reference SNP cluster IDs' (rsIDs) – the unique SNP identifiers within DTC-GT raw data – with reported disease associations in the medical literature. While the public is free to search these databases independently, these sites make this information much more accessible to the average user. The returned results typically included risk estimates for common complex diseases, sometimes with interpretations that particular SNPs are 'good,' 'bad,' 'pathogenic' or 'risk factors;' reports can also include more serious single-gene disorders or carrier status."
Am Ende kommt die Studie zu dem Ergebnis, daß das meiste von dieser Beratung als "ethisch problematisch" bezeichnet werden solle, weil doch nur Ärzte medizinische Auskünfte geben dürfen. Ich denke, es ist nicht ethisch problematisch, wenn man sich als Nutzer dieser Dienste einfach vor Augen hält, daß das - wie bei der Wissenschaft immer - nur vorläufige Erkenntnisse sind, und daß man, wenn man schwerwiegende Erkenntnisse über sich oder seine Verwandten gewinnt, damit ja immer noch zum Arzt gehen kann. Ich sehe im Gegenteil sehr viel mehr Vorteile: Das Allgemeinwissen der Menschen kann dadurch vergrößert werden, sie können Interesse entwickeln, sich mit moderner humangenetischer Forschung zu beschäftigen und noch dazu am eigenen Beispiel oder dem der Verwandten. Und sie können sich darüber austauschen. Zumal: Es gibt heute sicherlich VIELE Angebote in der Öffentlichkeit, die ethisch problematischer sind als ausgerechnet diese. Etwa die pausenlose gesendete Verdummung und Verrohung auf allen Kanälen (der "Öffentlich-Rechtlichen", des Privatfernsehen und der meinungsbestimmenden Medien allgemein), die in der Hand von wenigen Superreichen sind, sowie etwa 90 Prozent des Politikergeschwätzes und des "Entertainment"-Geschwätzes, was durch diese verbreitet werden.
1. European Journal of Human Genetics (2017) 25, 1189–1194; doi:10.1038/ejhg.2017.126; published online 23 August 2017 Third party interpretation of raw genetic data: an ethical exploration Lauren Badalato, http://www.nature.com/ejhg/journal/v25/n11/abs/ejhg2017126a.html
http://www.nature.com/ejhg/journal/v25/n11/abs/ejhg2017126a.html
Donnerstag, 12. Oktober 2017
"The Mad Science of Creativity"
"The Mad Science of Creativity"
Das neue Themenheft von "Scientific American" hat den Titel "The Mad Science of Creativity" (1). Ein schöner Titel wie man finden kann: "Die verrückte Wissenschaft der Kreativität". Verrückt ist diese "Wissenschaft" ja deshalb, weil sich Kreativität eben nur sehr schwer wissenschaftlich fassen läßt. Wo kommt sie her? Was sind ihre Ursprünge? Warum gibt es sie? Wie kann Kreativität gefördert werden? Wie kann sie unterbunden werden?
Womöglich sind das die zentralen Fragen unserer modernen Wissensgesellschaften. Schließlich hat schon Joseph A. Tainter in seiner wichtigen Studie "The Collapse of Complex Societies" darauf hingewiesen, daß komplexe Gesellschaften eine "marginal production of innovative change" hervorbringen müssen, eine "Mindestproduktion innovativen Wandels", wenn sie dauerhaft bestehen sollen und auch Krisenzeiten überdauern sollen.
Spannend finde ich schon den Titel des ersten Aufsatzes: "When did Ingenuity first arise in Humans?" - "Wann entstand das erste mal Ideenreichtum beim Menschen?" Oder: "How Cities Fire the Imagination". So auf der Titelseite. Eigentlich heißt der Aufsatz: "Triumph of the City - Engines of Innovation". Vorstellungstext desselben: "Most of humanity now lives in a metropolis. That simple fact helps to fuel our continued success as a species".
Nun, Städte und Metropolen können sowohl Förderer wie Totengräber von Innovation und Kreativität sein. Zum Thema des Heftes gibt es am 17. Oktober 17 auch eine Veranstaltung in New York, die im Internet mit verfolgt werden kann (2).
Von meiner Seite möchte ich zu der Thematik noch sagen: Welche Rolle der Verwandten-Altruismus auch in komplexen Gesellschaften bei der Hervorbringung von Kreativität und Innovation spielt, ist noch kaum erforscht. Es steht zu vermuten, daß die Rolle sehr groß ist und daß wir viel über die Gesetzmäßigkeiten von Kreativität in komplexen Gesellschaften lernen, wenn wir diese Rolle verstanden haben.
Denn wie menschliche komplexe Gesellschaften und der Altruismus in ihnen eigentlich funktionieren, ist von Seiten der Wissenschaft noch kaum verstanden. Gegenseitigkeits-Altruismus in allen Varianten wird vermutet. Aber. Bringt er Kreativität hervor? Kann er das? Es gibt Neuauflagen des Konzeptes der Gruppenselektion (Mehrere-Ebenen-Selektion, Superorganismus-Theorie). Können durch letztere individuelle Leistungen wie Kreativität erklärt werden? All das wird man wohl verneinen müssen.
Aber als Kreativer "spezialisiere" ich mich. Indem ich mich spezialisiere, kann ich mit vergleichsweise geringem Aufwand vielen helfen (Prinzip Arbeitsteilung). Und nach diesem Prinzip kann der durchschnittliche Verwandtschaftsgrad sinken denen gegenüber, denen ich mit meiner Kreativität helfe, ohne daß er völlig bedeutungslos werden muß für die Antriebe des Handelns des Kreativen. Es können immer noch verwandtenaltruistische Motive eine Rolle dabei spielen.
1. https://www.scientificamerican.com/magazine/special-editions/2017/03-01/
2. https://www.facebook.com/events/128817437747689/
Samstag, 7. Oktober 2017
Die Evolution lacht sich kaputt über die Darwinisten - Befiederte Dinosaurier
Die Evolution lacht sich kaputt über die Darwinisten - Befiederte Dinosaurier
Ein neu entdeckter Fasan-großer, rundum gefiederter, zweibeiniger, vierflügliger Dinosaurier lebte vor 160 Millionen Jahren und konnte - wieder einmal - nicht fliegen (1-4). Ein weiteres Beispiel dafür, daß über viele Millionen von Jahren alle Eigenschaften evoluiert wurden, die moderne Vögel zum Fliegen brauchen und nutzen, aber ohne daß diese Eigenschaften für die jeweilige Art auffälligen Überlebensnutzen hätte, noch daß diese Eigenschaft überhaupt im auffälligeren Zusammenhang mit "Flugversuchen" evoluiert ist.
Schlußfolgerung: Die Evolution wußte genau, was sie wollte. Sie wollte befiederte Vögel, die fliegen können. Aber sie hatte Zeit dafür. Und ließ mal diese Dinosaurier-Art diese Eigenschaft evoluieren, die zum Fliegen notwendig ist, die andere jene (5). Aber sie machte sich einen Spaß mit den späteren Anhängern von Charles Darwin und seinem Prinzip vom "Überleben des Tüchtigsten" als Hauptantrieb der Evolution, von seinem Prinzip von (zufälligem) Ausprobieren und Selektieren (Mutation und Selektion).
Das Fliegen wurde ja offenbar von so und so vielen befiederten Dinosaurier-Arten gar nicht "ausprobiert".
Die Evolution lacht sich schon seit Millionen von Jahren kaputt über die Darwinisten. Und immer mehr von diesem Gelächter wird nun von den Paläontologen ausgegraben und sicher gestellt (vor allem in China).
Zum Beispiel über die Federn an den Beinen sagt Thomas R. Holtz (2):
"Diese Federn könnten von fliegenden Mitgliedern der Artengruppe für das Steuern beim Fliegen genutzt werden, aber im Fall eines Nichtfliegers müssen sie eine andere Funktion haben."
Und die Evolution gluckste weiter leise in sich hinein ob der Ratlosigkeit und Hilflosigkeit der Darwinisten!
/ Zuerst: 7.10.2017 /
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- "A new Jurassic theropod from China documents a transitional step in the macrostructure of feathers", https://link.springer.com/article/10.1007/s00114-017-1496-y
- http://news.nationalgeographic.com/2017/08/feathered-dinosaur-four-wings-species-serikornis-science/
- https://en.wikipedia.org/wiki/Serikornis
- https://tomozaurus.deviantart.com/art/Silky-Bird-700427615
- Bading, Ingo: Zu dem Thema hab ich hier auf G+ schon vor allerhand Monaten einen Beitrag gepostet, der den hier angedeuteten Gedanken noch besser erläutert.