Samstag, 28. Oktober 2017

Unterliegt ein ADHS-Gen (Neugier-Gen) ("rs1800955") der Selektion in menschlichen Gesellschaften?

Unterliegt ein ADHS-Gen (Neugier-Gen) ("rs1800955") der Selektion in menschlichen Gesellschaften?

Schon 1998 wurde in einer Studie (1) gezeigt, daß die siebenfache Wiederholung eines Genabschnitts in einer Steuersequenz jenes Gens, das mit der Dopamin-Verarbeitung im Gehirn zu tun hat, 3 % der Varianz des Vorkommens von ADHS weltweit erklären kann (1). Diese siebenfache Sequenz gibt es bei Chinesen und Buschleuten gar nicht, bei indianischen Ureinwohnern Amerikas und bei Europäern aber doch.

Ich selbst bin reinerbig CC für ein SNP, ein "Neugier-Gen", nämlich "rs1800955" (C;C) (2-4).*) Dieses wird mit dieser siebenfachen Steuerungssequenz im Zusammenhang gesehen und es kann offenbar einen ähnlichen Anteil der weltweiten Varianz von ADHS erklären, und wurde deshalb jüngst - weil es leichter zu sequenzieren ist - auch Gegenstand einer ancient DNA-Studie zu den Andenbewohnern (5).

Von Knochenfunden von 79 Personen von Völkern in den Zentral-Anden in Südamerika, die dort seit 5.500 v. Ztr. lebten, bis 3.500 v. Ztr. nomadisch, seit 3.500 halbseßhaft und seit 1.800 v. Ztr. seßhaft, ist die Änderung in der Häufigkeit es Vorkommens dieses SNP untersucht worden (5). In der Studie heißt es zunächst (5):

"Most studies on the DRD4 gene have largely focused on the 7 repeat allele of the 48 base-pair VNTR in exon 3. Since we aim to address our hypothesis using ancient DNA, issues of preservation would prevent us from observing a polymorphism involving so many base pairs. For this reason, this study looks at the −521 C/T SNP (rs1800955) instead."

Ergebnis der Studie: In den frühesten nomadischen Völkern (n=9) hatten 33 Prozent CC, 33 Prozent CT und 33 Prozent TT. In der Zeit danach verschob sich das Verhältnis bis zu den vorkolumbianischen Bevölkerungen hin zu 50 Prozent TT, das auch der Häufigkeit im modernen Lima entspricht, in dem der CC-Typ nur noch zu etwa 14 Prozent vertreten ist. In der Studie heißt es aber auch (5):

"The populations from the Americas exhibit the highest mean frequency of the T allele (0.63) referring to the 100 Genome Project data. On the individual population level ALFRED reveals a high amount of diversity between native American groups with T allele frequencies ranging from ~0.62–0.95. The Karitiana, an indigenous Amazonian group practicing a foraging lifestyle mixed with horticulture and little contact to agricultural groups, exhibit one the highest DRD4 -521 T allele frequencies."

Also kleine Gruppen indianischer Ureinwohner heute können auch einen nur sehr geringen Anteil des genannten Neugier-Gens aufweisen. Von den derzeit 832 Menschen, die ihre Gensequenzierungsdaten auf OpenSNP hochgeladen haben, haben übrigens 31 % CC und nur 1 % TT (4). Aber unter diesen Menschen werden natürlich überrepräsentativ viele vertreten sein, die sich für Neues interessieren! :-) Weiter heißt es in der Studie (5):

"We find a slightly significant lower frequency of the C allele that is thought to contribute to the novelty seeking phenotype in samples deriving from state level societies (Wari, Inca, Modern) of the Central Andes than in all earlier populations."

Außerdem war der CC-Typ in unteren Höhenlagen der Anden häufiger vertreten als in höheren Höhenlagen. Weiter heißt es in der Erörterung der Ergebnisse:

"The comparisons we made suggest that differences in social structure and political organization might be the driving factors. This of course would make it necessary to assume that Novelity Seeking or risk-taking behavior is actually beneficial in human groups exhibiting lower grades of hierarchical structure and specialization."

Weiter wird angeführt, daß bei Primaten Tiere mit höherem Status häufiger ein solches Neugier-Gen aufweisen:

"This to some extend correlates with the hypothesis that exploratory behavior and intense excitement in response to novel stimuli, impulsive decision making, and quick loss of temper and avoidance of frustration associated with the Novelity Seeking phenotype are less beneficial in highly structured social environments with specialized social/economic roles when the individual does not belong to a socially privileged group or has political power."

Nun, in arbeitsteiligen Gesellschaften wird der Anteil von Neugier-Gen-Trägern sicher geringer sein dürfen und sie werden auch stabiler sein, wenn ihr Anteil geringer ist. Der Erörterung ist aber zu entnehmen, das noch nicht alle Daten widerspruchsfrei zu dieser These passen. Immerhin ist es einmal eine interessante These.

*) Inzwischen wurden bei MyHeritage auch die Gene meiner Mutter sequenziert. Aber leider finde ich den Rohdaten dieser Sequenzierung unter dem Stichwort "rs1800955" keine Auskunft!


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1. http://www.pnas.org/content/99/1/309.long
2. https://en.wikipedia.org/wiki/Rs1800955
3. https://www.snpedia.com/index.php/Rs1800955
4. https://opensnp.org/snps/rs1800955#users
5. https://link.springer.com/article/10.1007/s40750-015-0033-5
6. http://studgendeutsch.blogspot.com/2017/05/mein-genom-sagt-dass-ich-eine-niete-im.html


https://link.springer.com/article/10.1007/s40750-015-0033-5
https://link.springer.com/article/10.1007/s40750-015-0033-5

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