Evolution - Evolutionäre Anthropologie - Geschichte und Gesellschaft
Donnerstag, 3. August 2017
Ancient DNA - Die indogermanische Zuwanderung nach Griechenland formte die Kultur der Mykener
Ancient DNA - Die indogermanische Zuwanderung nach Griechenland formte die Kultur der Mykener
Soeben ist eine neue hochbrisante ancient-DNA-Studie von Johannes Krause und vielen anderen zur Genetik der Mykener und Minoer erschienen (1).
Wir hatten zuvor gerade erst gelernt: Die ersten Bauern des Früh- und Mittelneolithikums in Anatolien, Griechenland (und vermutlich dem gesamten Mittelmeerraum), sowie in Mittel- und Nordeuropa (ab 6.500 v. Ztr.) bildeten eine genetisch vergleichsweise einheitliche Völkergruppe, die in allen eben genannten Regionen heute als ausgestorben angesehen werden muß, deren nächste genetische Verwandte am ehesten heute noch auf Sardinien weiter leben.
Ab der Bronzezeit finden wir in Anatolien, Griechenland und auf Kreta genetisch im wesentlichen andere Menschen, die in ihrer genetischen Verwandtschaft etwa auf der Mitte stehen zwischen den früh- und mittelneolithischen Bauern dieser Region einerseits und den heutigen Bewohnern dieser Region andererseits (siehe Grafik unten).
Bemerkenswert ist, daß ein sequenzierter bronzezeitlicher Bewohner Anatoliens damals schon den heutigen Griechen genetisch sehr nahe stand. Ansonsten heißt es in der Studie: "In comparison, the Bronze Age Anatolians shared fewer alleles with ancient Europeans and more with ancient populations of Iran and the Levant."
Das heißt: Es gab in Anatolien eine Zuwanderung vom Levanteraum, die durch die Expansion der ersten Hochkulturen aus dem Zweistromland heraus nach Anatolien hinein vorangetrieben worden sein wird (Uruk, Babylonien usw. usf.). Und in der Bronzezeit gab es dann schließlich weiterhin eine massive indoeuropäische Zuwanderung in Anatolien. Diese war etwa vom Volk der Hethiter getragen, aber auch von vielen anderen, heute in Anatolien ausgestorbenen indogermanischen Völkern (Lyder, Lyker und viele andere - "wer kennt die Völker, nennt die Namen?" ...).
Und auch die größere genetische Nähe der Mykener und Minoer zu den heutigen Bewohnern Griechenlands ist vor allem verursacht durch eine Zuwanderung von Indogermanen, die in Verwandtschaft standen zu Menschen aus der Kaukasus-Region und dem Iran (siehe Grafik unten).
Ganz offensichtlich spielt hier - wie zeitgleich in Mitteleuropa - die Zuwanderung von Indogermanen aus der Nordkaukasus-Region die bedeutendste Rolle.
In der Bronzezeit stammten die Menschen im östlichen Mittelmeerraum also zu deutlichen Teilen (bis zu 30 % - heißt es an einer Stelle der Studie) aus der Kaukasus-Region. Es gab also auch hier massive indogermanische Zuwanderungen ganz genauso wie in Mittel- und Nordeuropa. ("We found that Test populations from Iran, the Caucasus, and eastern Europe shared more alleles with Minoans and Mycenaeans than with the Neolithic population of Greece.")
Dabei hatten die Mykener noch weniger mittelneolithische Vorfahren aus ihrer eigenen ("neuen") Heimat als die Minoer. Das ist der einzige größere genetische Unterschied zwischen diesen beiden großen bronzezeitlichen Völkern.
Interessanterweise haben die Minoer zwar Kaukasus-Vorfahren, aber offensichtlich keine Vorfahren von den osteuropäischen Jägern und Sammlern, womit sich die Frage stellt, welche Kaukasus-Völker - schon vor den Indogermanen? - sich womöglich bis nach Kreta ausgebreitet haben. Es scheint also neben der Ausbreitung der Schriftkulturen vom Zweistromland aus und neben der Ausbreitung der Indogermanen vom Nordkaukaus-Raum aus auch noch eine dritte Völker-Ausbreitung gegeben zu haben, über die bisher noch wenig bekannt ist. Diese Völkergruppe war schon während des Neolithikums in Zentralanatolien präsent. ("This ancestry need not have arrived from regions east of Anatolia, as it was already present during the Neolithic in central Anatolia at Tepecik-Çiftlik.") Auch das wirft völlig neue Perspektiven auf. Bekannt ist, daß die frühen Hochkulturen in Ostanatolien, in Armenien usw. von der Archäologie lange Jahrzehnte stiefmütterlich behandelt worden waren, weshalb sie kaum im Allgemeinwissen präsent sind. Aber auch hier hat es viel Kultur- und Völkergeschichte gegeben.
Insbesondere die Y-Chromosomen-Haplogruppe J gab es unter den Männern des Neolithikums im Mittelmeerraum gar nicht, war aber unter den Männern der Bronzezeit vorherrschend. Auch hier deutet sich ein höherer Anteil von (kriegerischen) Männern unter den Zuwanderern an. Ähnliches wird ja auch für Mitteleuropa vermutet.
Zwischen dem Begrabenen eines Eliten- (Königs-)Grabes bei den Mykenern und denen gewöhnlicher (Krieger-?)Gräber gab es keine genetischen Unterschiede.
Die Forschungen bestätigen auf breiter Front, was bislang schon vermutet worden war: Die mykenische Kultur entstand durch Zuwanderungen durch Indogermanen. Ähnlich - offenbar - auch die minoische Kultur, allerdings offenbar nicht so ausgeprägt, bzw. ohne "nördlichere" genetische Komponenten (was immer das nun heißen möge).
Auch die Mykener hätten jene dunkle Haar- und Augenfarbe aufgezeigt, die die minoischen Wandmalereien aufzeigen, meint die Studie. Das wäre ja hoch interessant. Abschließend würden zwei Schlüsselfragen offen bleiben, so die Studie:
"Two key questions remain to be addressed by future studies. First, when did the common ‘eastern’ ancestry of both Minoans and Mycenaeans arrive in the Aegean? Second, is the ‘northern’ ancestry in Mycenaeans due to sporadic infiltration of Greece, or to a rapid migration as in Central Europe."
(Man vergleiche übrigens bitte meine vorstehende Wiedergabe der Inhalte dieser Studie mit den außerordentlich wenig inhaltsreichen Produkten des deutschsprachigen Wissenschaftsjournalismus zu dieser neuen Studie, die sich leicht mit Suchworten wie "Mykener, Minoer" und entsprechender Zeiteingrenzung ergoogeln lassen.)
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1. Johannes Krause, David Reich und viele andere: "Genetic origins of the Minoans and Mycenaeans", Nature, 25.6.2017, http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature23310.html) (Ich kann Vollversion des Aufsatzes weitergeben!)
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