Donnerstag, 30. November 2017

Neolithische Frauen in Deutschland - Armstark wie Ruderinnen

Neolithische Frauen in Deutschland - Armstark wie Ruderinnen,
Neolithische Männer - Beinstark wie Querfeldeinläufer

Das ist ein spannender Bericht in "Bild der Wissenschaft" darüber, daß neolithische Frauen in Mitteleuropa stärkere Armmuskeln hatten als heutige Profi-Ruderinnen (1). Schaut man in die zugängliche Originalstudie hinein (2), wird deutlich, daß BdW gar nicht alles berichtet, was in der Studie als bekannt referiert wird. In der Originalstudie werden Männer und Frauen verglichen und dabei auch Armknochen mit Beinknochen. Und damit wird nämlich - sozusagen - der Geschlechtsdimorphismus in der körperlichen Konstitution und im Verhalten von Männern und Frauen im Neolithikum und in der Bronzezeit deutlich.

Die Beine der neolithischen Männer in Deutschland (ab 5.500 v. Ztr.) hatten nämlich Muskeln wie die heutiger Querfeldeinläufer ("Cross country running"). Das heißt, sie waren durchgängig ganz schön viel unterwegs und verdammt gut trainiert. Von der dicht besiedelten bandkeramischen Kultur und ihren Nachfolgekulturen ist dementsprechend ja auch Fernhandel gut dokumentiert (etwa anhand von Feuerstein-Funden und ähnlichem). Man mag sich an den Ötzi in den Osttiroler Alpen aus der Zeit um 3.300 v. Ztr. erinnern, der ebenfalls ein fleißiger Fußgänger war, und der auch gut den genetisch-anthropologischen Menschentypen charakterisiert, der damals in Europa lebte. Erst ab 3.500 v. Ztr. kam der Rinderwagen in Verbreitung und mit ihm ging über die Bronzezeit hinweg allmählich auch das Beintraining der Männer zurück. Ab der Eisenzeit bewegte es sich auf einem Niveau, das die Männer auch im Mittelalter hatten (und wohl immer noch höher war als das heutige).

Allerdings: All das bezieht sich natürlich zunächst auf die Durchschnittsbevölkerung. - Ich erinnere mich, daß der in der Stiftskirche von Engern in Westfalen begrabene Widukind, der Gegner Karls des Großen und seine beiden Begleiter, um 800 n. Ztr. Bein- und Armmuskeln von Hochleistungssportlern hatten, insbesondere solche, die man zum Reiten und damaligen Kriegsführen braucht.

Soweit also das, was bisher schon bekannt war. Nun sind in dieser Studie die Frauen untersucht worden. Die Beine der neolithischen Frauen hatten eine ähnlich große Vielfalt an Muskeln wie es auch heutige Frauen und Männer haben. Das heißt, es gab hochtrainierte unter ihnen, die viel unterwegs waren (ja, ja, jetzt kommt natürlich wieder einigen Lesern der Buchtitel "Wanderhure" in den Sinn). Aber die meisten von ihnen waren wenig unterwegs, einige scheinen sich sogar im Vergleich zu heute unterdurchschnittlich wenig vom Fleck gerührt zu haben.

Bekannt war auch schon, daß die Frauen im Neolithikum auffallend stark ihre rechten Arme brauchten, die stärkere Muskeln hatten als ihre linken Arme. Dieser Unterschied glich sich erst in der Bronzezeit aus. Mir scheint es dafür noch keine gute Erklärung zu geben. Es wird ausgeführt, daß im Neolithikum Handmühlen für einen Arm benutzt wurden, während in der Bronzezeit Handmühlen für zwei Arme in Gebrauch kamen. Aber sollte man bei einer so anstrengenden, dauerhaften Tätigkeit die Arme nicht wechseln?

Bei Tennisspielern reagieren männliche Knochen auf Dauerbelastung stärker als weibliche Knochen. Dasselbe findet man auch bei Ratten. So daß die Forscher vermuten, daß weibliche Arbeitsbelastung in den Knochen nicht so gut sichtbar wird wie bei Männern. Das alles nun in Rechnung gestellt, kommen die Forscher bei ihren neuen Untersuchungen zu den Ergebnissen, die von BdW referiert werden, nämlich daß neolithische Frauen ihre Arme durchgängig noch stärker beanspruchten als heutige Profi-Ruderinnen.

Interessant ist noch die Angabe, daß Kinder bei den Bandkeramikern schon zwischen dem 2. und 7. Lebenjahr sehr viel Zeit entfernt vom Hof verbrachten, vermutlich als Hirten des Weideviehs. ("Juveniles appear to have been more often participating in livestock herding than cultivation, a specialization that may have contributed to some young LBK boys (~2 to 7 years of age) at Stuttgart-Mühlhausen spending large amounts of time away from the site in their late childhood and early youth.") In der Studie werden noch einige Einschränkungen gemacht zum Vergleich neolithischer Frauenarmmuskeln zu denen heutiger Ruderinnen, da 73 % der Studienteilnehmerinnen die Antibaby-Pille während der Studie genommen hatten, was auch Einflüsse haben könnte auf die Knochenstärke.

Aber insgesamt wird die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern sehr deutlich: Die Männer gingen auf die Jagd, hüteten das Vieh, betrieben Handel und auswärtige Angelegenheiten, waren bei der Bewirtschaftung der Felder zugange, die Frauen steckten ihre Arbeitskraft unter anderem in das Mahlen des Getreides. Im Winter werden beide Geschlechter zugleich gedroschen haben, das war in traditionellen bäuerlichen Bevölkerungen so üblich, dabei wurden die Armmuskeln gebraucht.

1. http://www.wissenschaft.de/kultur-gesellschaft/anthropologie/-/journal_content/56/12054/21284036
2. http://advances.sciencemag.org/content/3/11/eaao3893.full
3. https://de.wikipedia.org/wiki/Mahlstein
https://de.wikipedia.org/wiki/Mahlstein

Freitag, 24. November 2017

Die Schnurkeramiker wanderten erst westwärts, dann ostwärts - - - und wohnten in den Oasenstädten der Seidenstraße

Die Schnurkeramiker wanderten erst westwärts, dann ostwärts - - - und wohnten in den Oasenstädten der Seidenstraße

Die berühmten blonden, hochgewachsenen, europäisch aussehenden und mit europäischer Kleidung bekleideten tocharischen Wüstenmumien aus den Oasenstädten der Seidenstraße aus der Zeit zwischen 2000 v. Ztr. bis 800 n. Ztr., gehörten zum indogermanischen Volk der Tocharer, das als östlichstes bekanntes indogermanisches Volk eine westindogermanische Sprache sprach (2, 3). Und sie werfen schon seit der Entdeckung dieser Sprache durch die Erforscher Innerasiens die Frage auf: Wie kamen die - um die Zeit um 2.000 v. Ztr. - aus Mitteleuropa in so entlegenene Regionen wie Innerasien? Wie kamen sie bis an den Westrand Chinas? (Ich habe über diese Kultur schon vor Jahren allerhand Blogartikel veröffentlicht.)

Und eine Klärung dieser Frage ist nun ebenfalls erfolgt mit dem Durchbruch in der Ancient-DNA-Forschung im Jahr 2015. Das hatte ich bisher ganz übersehen.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die offenbar weltgeschichtlich so bedeutende Sintaschta-Kultur - und die aus ihr hervorgegangene Andronovo-Kultur Sibiriens. Die Sintaschta-Kultur entstand um 2.100 v. Ztr. in der Ukraine. Sie war die erste Kultur, die nachgewiesenermaßen Streitwagen baute und domestizierte Pferde als Zugpferde benutzte. Aber - und das ist nun die entscheidende Neuerkenntnis: nach den neuen ancient-DNA-Daten ist sie nicht aus der örtlichen Yamnaja-Kultur hervorgegangen, sondern aus erneuter Ostwanderung der Schnurkeramiker! Damit hat man dann auch sehr konkrete Anhaltspunkte, wie man sich die Wanderung der Tocharer von Mitteleuropa nach Innerasien vorstellen kann. Denn der Zeitstellung nach paßt alles zusammen.

Diese Erkenntnis ist auch schon an mehreren Orten in das englische Wikipedia eingepflegt worden. Und damit ist auch die früheste sibirische indogermanische Kultur, die Afanasijewo-Kultur, die wie die Schnurkeramiker direkt von den Yamnaja abstammte, genetisch eine andere Kultur gewesen, als die ihr nachfolgende Kultur, die Andronovo-Kultur, die entlang der Nordhänge des Tianshan siedelte, das Gebirge, das Innerasien im Süden von Sibirien im Norden trennte.

Die Schnurkeramiker wandern westwärts (2.800 v. Ztr.)

Aber es sei zunächst noch einmal rekapituliert: Die Schnurkeramiker breiteten sich ab 2.800 v. Ztr. vermutlich ausgehend von Südpolen in Mitteleuropa bis nach Skandinavien aus (4, 5). Genetisch waren sie zwar eng mit den Yamnaja von der Wolga verwandt, also mit dem Urvolk der Indogermanen. Aber sie vermischten sich in Mittel- und Nordeuropa zu geringeren Anteilen mit den Einheimischen. Ab 2.300 v. Ztr. ging die Schnurkeramik-Kultur in Mitteldeutschland über in die berühmte Aunjetitzer Kultur (6), die prächtige Fürstengräber kennt und aus der insbesondere die "Himmelsscheibe von Nebra" hervor gegangen ist.

Die Schnurkeramiker wandern ostwärts (2.300 v. Ztr.)

Aber in der gleichen Zeit nun, in der die Aunjetitzer Kultur in Sachsen entstand, wanderten offenbar auch wieder Schnurkeramiker Richtung Osten, nun ihren genetischen Anteil der vorherigen Mitteleuropäer mitnehmend. Und sie begründeten in der Ukraine die Sintaschta-Kultur. Dazu sei nun die diesbezügliche genetische Studie aus dem Jahr 2015 zitiert:

"From the beginning of 2000 BC, a new class of master artisans known as the Sintashta culture emerged in the Urals, building chariots, breeding and training horses (Fig. 1), and producing sophisticated new weapons."

Und:

"The Early Bronze Age Afanasievo culture in the Altai-Sayan region is genetically indistinguishable from Yamnaya, confirming an eastward expansion across the steppe (Figs 1 and 3b; Extended Data Fig. 2b and Extended Data Table 1), in addition to the westward expansion into Europe. Thus, the Yamnaya migrations resulted in gene flow across vast distances, essentially connecting Altai in Siberia with Scandinaviain the Early Bronze Age (Fig. 1)."

Aber nun:

" The close affinity we observe between peoples of Corded Ware and Sintashta cultures (Extended Data Fig. 2a) suggests similar genetic sources of the two, which contrasts with previous hypotheses placing the origin of Sintastha in Asia or the Middle East. Although we cannot formally test whether the Sintashta derives directly from an eastward migration of Corded Ware peoples or if they share common ancestry with an earlier steppe population, the presence of European Neolithic farmer ancestry in both the Corded Ware and the Sintashta, combined with the absence of Neolithic farmer ancestry in the earlier Yamnaya, would suggest the former being more probable (Fig. 2b andExtended Data Table 1)."

Das ist eine spannende Erkenntnis. Und:

"The Andronovo culture, which arose in Central Asia during the later Bronze Age (Fig. 1), is genetically closely related to the Sintashta peoples (Extended Data Fig. 2c), and clearly distinct from both Yamnaya and Afanasievo (Fig. 3b andExtended Data Table 1). Therefore, Andronovo represents a temporal and geographical extension of the Sintashta gene pool."

Somit wird es enge genetische Zusammenhänge geben zwischen der Andronovo-Kultur nördlich des Tianshan und dem Volk der Tocharer südlich des Tianshan in den Oasenstädten der Seidenstraße. Die Andronovo-Kultur breitete sich schnell aus bis an den Westrand Chinas (8).

1. Population genomics of Bronze Age Eurasia. Available from: https://www.researchgate.net/publication/278327861_Population_genomics_of_Bronze_Age_Eurasia [accessed Nov 24 2017].
2. https://de.wikipedia.org/wiki/Tocharer
3. https://de.wikipedia.org/wiki/Tarim-Mumien
4. https://de.wikipedia.org/wiki/Schnurkeramische_Kultur
5. https://en.wikipedia.org/wiki/Corded_Ware_culture
6. https://de.wikipedia.org/wiki/Aunjetitzer_Kultur
7. https://de.wikipedia.org/wiki/Andronowo-Kultur
8. https://www.researchgate.net/publication/317347025_Adunqiaolu_New_evidence_for_the_Andronovo_in_Xinjiang_China

9. Grafik (aus 1): https://www.researchgate.net/profile/Kristian_Kristiansen2/publication/278327861/figure/fig1/AS:272755190923282@1442041313932/Figure-1-Distribution-maps-of-ancient-samples-Localities-cultural-associations-and.png

Donnerstag, 23. November 2017

"Migrationsstrategien, die traumatische Begegnungen verhinderten"

"Migrationsstrategien, die traumatische Begegnungen verhinderten"
Im Jahre 2.700 v. Ztr. in Sachsen

So sieht der sächsische Archäologe Harald Meller, der wohl derjenige war, der gegenüber David Reich und anderen 2014 sich wegen "Kossinna" die Haare raufte, inzwischen die neuen Erkenntnisse, die die Ancient-DNA-Forschung mit sich gebracht hat, auf Sachsen bezogen. Man achte dabei auf die häufige Verwendung des Wortes "massiv" (1):

"Die Einwanderung der ersten Bauern der Linienbandkeramikkultur im Frühneolithikum führte zwar zu einer massiven Verdrängung mesolithischer Bevölkerungsgruppen, nicht aber zu deren Verschwinden, da diese sich in marginalisierten, für Ackerbauern uninteressanten, Gebieten niederließen. Es konnte wiederum festgestellt werden, dass jene ehemals nach Mitteldeutschland eingewanderten Ackerbauern um 35oo v. Chr. von den aus dem Norden kommenden Trichterbecherkulturen - bei denen es sich um die Nachfahren der Mesolithiker handelt" (stimmt übrigens nicht, die waren mehrheitlich Nachfahren der Bandkeramiker, bzw. der Michelsbergkultur) "- massiv überschichtet und verdrängt wurden. Die so entstandene Bevölkerung unterlag wiederum dem massiven genetischen Impact aus dem Osten durch die Schnurkeramiker. Ebenfalls ausgeprägt war der anschließende Einfluss der Glockenbecherkultur, aus dem - zusammen mit den kulturellen Leistungen der Schnurkeramikkultur - die frühbronzezeitliche Aunjetitzer Kultur entstand, bei der es sich um eine Vermischung aller Elemente handelt, die mehr oder weniger bis zu den heutigen Europäern konstant blieben."

So das rein wissenschaftliche Referat. Aber wirklich witzig sind im gleichen Beitrag immer wieder die gar zu übertriebenen Bezüge, Hinweise mit dem Zaunpfahl zu gegenwärtigen politischen Debatten. Ich halte sie für eines Wissenschaftlers ganz und gar unwürdig, schließlich will er da naturalistische oder kulturalistische Fehlschlüsse aller Art in beiderlei Richtungen ziehen. Meller sagt:

"In beiden Fällen - Migration und Ankunft von Migranten - handelt es sich um historische Ereignisse, die sich auf den regelmäßigen Ablauf des täglichen Lebens - vor allem in sesshaften Gesellschaften - auswirken, ...."

... man wird das so vermuten dürfen, ja .... Und weiter:

"...aber gleichzeitig zur erfolgreichen Entwicklung der Gemeinschaft beitragen, bzw. für diese notwendig sind."

Für diese notwendig sind! Dieser Satz ist dermaßen aberwitzig komisch, daß er zu jeder nur denkbaren Karikatur dienen kann. Man denke sich einen solchen Satz im Munde eines Indianerhäuptlings im 19. Jahrhundert in Nordamerika. Nein, unmöglich. Er KANN nur niedergeschrieben sein in einem Land wie Deutschland im Jahr 2016 nach Jesus Christus hab Erbarmen.

"... die zur erfolgreichen Entwicklung der Gemeinschaft beitragen, bzw. für diese notwendig sind." Muß noch nachgewiesen werden, wie hoffnungslos einfältig dieser Satz ist? Meistens wurden die vorher ansässigen Bevölkerungen, wie Meller zuvor selbst ausführte, "massiv" überlagert, verdrängt, in "Reservate" abgedrängt. Die Beziehungen zwischen Einwanderern und Ansässigen werden und können sehr komplex gewesen sein, ja, das können sie. Aber ein so einseitiges Bild?

Stand Harald Meller mit am Bahnhof, als die Schnurkeramiker ankamen und schwenkte fröhlich die Fahnen? Man möchte es fast glauben. Die Einheimischen damals werden sich so super dabei gefühlt haben, marginalisiert zu werden. So super. Und fünfzig Jahre später schrieb ein Nachfahren der Einwanderer voller Verständnis für das Schicksal der marginalisierten Einheimischen seinen großen Erzählungsband: "Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses". Und alle Nachfahren der Einwanderer verdrückten eine Träne. Oder so.

Meller: "Es ist daher zu erwarten, dass die vor- und frühgeschichtlichen Gesellschaften über Strategien verfügten, die sowohl die Mobilität als auch die Aufnahme von Personen und Gruppen regelten und traumatische Begegnungen verhinderten."

Man traut und glaubt seinen Augen nicht, während man das liest. Man glaubt es einfach nicht. Ach, Du liebe Güte. wie stellt sich Harald Meller denn Menschengeschichte vor? Soll man einfach mal sagen: Dieser gute Herr Meller kann keine Mitglieder in seiner Familie haben und auch noch nie in der Nachbarschaft und im Bekanntenkreis von Familien gehört haben, die Erfahrungen haben mit der Verdrängung von Ethnien? Mit der Vertreibung des Jahres 1945 aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße, mit all diesen "schönen" Migrationen in andere Länder, für deren nichttraumatischen Umgang wir ja so viel Erfahrung gesammelt haben in den Jahrtausenden der Geschichte. Scheinbar wirkt das Kossinna-Trauma der deutschen Archäologie wirklich stark nach ...

1. Migration and Integration from Prehistory to the Middle Ages. Available from: https://www.researchgate.net/publication/320866192_Migration_and_Integration_from_Prehistory_to_the_Middle_Ages [accessed Nov 23 2017]
https://www.researchgate.net/publication/320866192_Migration_and_Integration_from_Prehistory_to_the_Middle_Ages

"Kossinna's smile" - Die Archäologie kann an den Völkern, die sie erforscht, nicht mehr vorbei sehen

"Kossinna's smile" - Die Archäologie kann an den Völkern, die sie erforscht, nicht mehr vorbei sehen

Seit 1945 tobt in der deutschen Archäologie ein Streit rund um den Archäologen Gustaf Kossinna (1858-1931). Er hatte die Verwegenheit besessen, archäologische Kulturen mit Völkern gleichzusetzen. Und in einem bigotten kulturalistischen und/oder naturalistischen Fehlschluß war man seither der Meinung, daß dieser archäologische Ansatz falsch sei, DA er ja - angeblich -

"direkt" nach Ausschwitz geführt hätte.

Nun, irgendwann schlägt die Stunde jedes solcher Fehlschlüsse vom Sollen auf das Sein, solcher zeitgeist-gebundener Interpretationen wissenschaftlicher, hier archäologischer Sachverhalte. Im März 2015 wurde der Durchbruch in der Indogermanen-Forschung infolge der Ancient-DNA-Revolution verkündet.

Und nun ist im April-Heft 2017 der international angesehenen Archäologie-Zeitschrift "Antiquity" ein Aufsatz erschienen mit dem ebenso schlichten wie entwaffnenden Titel "Kossinna's smile" (1). Nein, es handelte sich um keinen April-Scherz. In dem Aufsatz heißt es,

"zu einfach wäre es, sich hinter einem Anti-Kossinna-Schutzwall zu verschanzen"
"it would be too simple to hide behind an Anti-Kossinnian firewall"

nämlich im Angesicht der umstürzenden neuen Ergebnisse der AnicentDNA-Forschung, über die ich schon mehrfach gebloggt habe. Tenor des kurzen Aufsatzes ist dann am Schluß (1): Die Komplexität der Zusammenhänge würde von den beiden Durchbruch-Ancient-DNA-Studien des Jahres 2015 nicht in vollem Umfang erfaßt. ... Rückzugsgefechte also, nachdem der "antifaschistische Schutzwall" schon völlig in die Brüche gegangen ist im Zuge des Ancient-DNA-Dauerbeschusses. Ein Schutzwall, über den der alte Kossinna nur noch lacht droben von seiner himmlischen Aussicht. So heißt es ja schon im Titel.

Es gibt Aufsätze, die geradezu schlagwortartig den Zusammenbruch politisch-korrekter Weltbilder deutlich werden lassen, von Weltbildern, die nur deshalb eine so starke Vorherrschaft besaßen, weil sie eben so durch und durch "korrekt" erschienen. Im Jahr 2004 war das ein kurzer Genetik-Aufsatz mit dem Titel "Lewontin's Fallacy". Im Jahr 2017 ist es nun ein kurzer archäologischer Aufsatz mit dem schlichten Titel "Kossina's smile".

Gewalt

In derselben Antiquity-Folge ist noch ein begleitender zweiter Artikel erschienen (2), der unter den Online-Aufsätzen der Zeitschrift zu den drittmeist-gelesenen überhaupt zählt. In diesem werden noch manche Details dieser schnurkeramischen Zuwanderung nach Mitteldeuschland erörtert. Und da werden Geschichten geschildert*) wie in einem Roman: Schnurkeramiker aus Sachsen entführen Bauerntöchter aus dem Harz und die Bauern führen einen Rachefeldzug, in dem mehrere Schnurkeramik-Familien mit Pfeilschüssen von hinten, also aus dem Hinterhalt heraus (oder auf der Flucht), getötet werden. Aber die Angehörigen dieser Schnurkeramiker waren in der Lage, die Familien ordentlich, ja, liebevoll bestatten.

Während man das liest, kommt einem der Gedanke, ob es nicht vielleicht gut ist, sich bei den Eroberungskriegen der Schnurkeramiker an die Kriegszüge von Alexander dem Großen zu erinnern und die damit verbundene Hellenisierung fast der gesamten antiken Welt. Vielleicht erfolgte die Ausbreitung der Schnurkeramiker/Indogermanen mit ähnlicher Emphase. Auch bei den Makedonen rund um Alexander spielten ja liebevolle Beziehungen untereinander eine große Rolle.

Abschließend heißt es in dieser Studie über das neue Bild der Geschichte des europäischen Neolithikums (2):

"Es mag einige geben, die sich nicht darüber freuen können, weil es so viel Ähnlichkeit aufweist mit dem älteren Paradigma von Ausbreitungsbewegungen als dem wesentlichsten Prinzip kulturellen Wandels so wie es durch Gustaf Kossinna und Gordon Childe repräsentiert worden war. Aber wir sind jetzt in der Lage, die Komplexitäten hinter den historischen Prozessen in viel größerer Detailgenauigkeit aufzuklären und so die gar zu simplen Modelle der Vergangenheit zu vermeiden."
"Some may not like it for its resemblance to an older paradigm of migrations as a primary cause of cultural change, as represented by Gustav Kossinna and Gordon Childe (Kristiansen 1998: 7–24), but we are now in a position to unravel the complexities behind the historical processes in much detail, and thus avoid the simplistic models of the past."


*) Hier der Roman (s.a. 3): "At the Corded Ware cemetery of Eulau, the application of strontium isotopic tracing, ancient DNA and archaeology has allowed a full reconstruction of a singular family massacre and its local background (Haak et al. 2008; Meyer et al. 2009; Muhl et al. 2010). Four multiple burials contained single families of father, mother and children in various combinations, and it could be demonstrated that the mothers were of non-local origin, most probably originating in the Harz Mountains 50–60km north of the settlement. The arrows that had killed the families confirmed this, as they belonged to another Neolithic culture: the Schönfeld, which was located in this area and practised cremation, a burial custom different to that of the Corded Ware Culture (compare Muhl et al. 2010: 44, 125). Contacts between the two are also illustrated by the occurrence of Schönfeld pottery in Corded Ware graves in the Halle-Saale region (Furholt 2003). Other Neolithic groups in the region, such as the Bernburg Culture, practised collective burials of multiple family groups, as demonstrated by genetics, again being distinctively different from the Corded Ware practice of individual burials (Meyer et al. 2012). We observe two things: that Corded Ware males practised exogamy, perhaps marriage by abduction, which provides a possible explanation for the killing."

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  1. Heyd, Volker: Kossinna's smile. In: Antiquity, Vol. 91, No. 356, 04.2017, p. 348-359. https://www.cambridge.org/core/journals/antiquity/article/kossinnas-smile/8ABA3BD9132B7605E8871236065CD4E3, https://research-information.bristol.ac.uk/files/113850524/Kossinna_s_Smile_as_finally_submitted.pdf
  2. Kristiansen, Kristian u.a.: Re-theorising mobility and the formation of culture and language among the Corded Ware Culture in Europe. In: Antiquity, Vol. 91, No. 356, 04.2017, https://www.cambridge.org/core/journals/antiquity/article/retheorising-mobility-and-the-formation-of-culture-and-language-among-the-corded-ware-culture-in-europe/E35E6057F48118AFAC191BDFBB1EB30E/core-reader
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Familiengr%C3%A4ber_von_Eulau

Durchbruch in der Indogermanen-Forschung durch Ancient-DNA - Pressemitteilung aus dem März 2015

Durchbruch in der Indogermanen-Forschung durch Ancient-DNA - Pressemitteilung aus dem März 2015

In einer Pressemitteilung der Universität Tübingen zu der bahnbrechenden Ancient-DNA-Studie zu den Schnurkeramikern (Herkunft von den Yamnaya/Indogermanen) aus dem Jahr 2015 (1) kann man noch interessante zusätzliche Hinweise finden. Nämlich den Hinweis, daß Ancient-DNA-Untersuchungen - natürlich - auch dazu beitragen können, beigabelose Skelette zeitlich neu einzuordnen:

>>„Es war ein echtes Aha-Erlebnis, als wir die ersten Daten ansahen”, schwärmt Lazaridis. „Der dritte Anteil war in jedem Individuum zu sehen, das jünger als 4500 Jahre war, und in keiner der älteren Proben aus Mitteleuropa.” Haak geht sogar noch weiter: „Das Signal ist so stark, dass man fast von einer genetischen Datierung sprechen könnte, basierend auf dem Vorkommen von ein, zwei oder allen drei Komponenten.“ Tatsächlich fanden sich unter den Proben auch einige Ausreißer, die bisher archäologisch allein aufgrund ihrer Ausrichtung als älter eingestuft wurden, allerdings die dritte Komponente aufwiesen. Zur Klärung des Alters dieser beigabenlosen Bestattungen wurden 14C-Datierungen in Auftrag gegeben."<<

Und weiter heißt es:

>>„Die auffälligen Übereinstimmungen in den materiellen Hinterlassenschaften der Schnurkeramik- und der Yamnaya-Kultur waren bereits bekannt. Dies enge Verbindung konnte nun auch naturwissenschaftlich belegt werden“, ergänzt Harald Meller, Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle (Saale). „In Deutschland sind es die sogenannten Schnurkeramiker am Übergang zwischen Jungsteinzeit und Bronzezeit, bei welchen erstmals die dritte Komponente auftaucht und deren Erbgut damit einen zweiten Bevölkerungsumbruch markiert“, sagt Haak. „Basierend auf einem direkten Vergleich mit Individuen der Yamnaya-Kultur, Viehhirten aus den eurasischen Steppengebieten, schätzen wir den genetischen Steppenanteil in den Schnurkeramikern aus Sachsen Anhalt auf beträchtliche 75 Prozent”, sagt Lazaridis, und fügt hinzu, „dass sich die Schnurkeramiker und die Yamnaya-Population trotz geographischer Distanz von 2600 Kilometer genetisch erstaunlich ähnlich sehen.“<<
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1. PM/HR: Hinweise auf Herkunft des Indogermanischen aus der Steppe - Wissenschaftler der Universität Tübingen an Studie zum Einfluss frühbronzezeitlicher Wanderungsbewegungen auf die Entwicklung der indoeuropäischen Sprachen beteiligt. https://www.mpg.de/8995790/menschen-wanderung-indogermanische-sprachen
https://www.mpg.de/8995790/menschen-wanderung-indogermanische-sprachen

Dienstag, 21. November 2017

Wir bald eine Minisonde auf unseren Nachbarplaneten außerhalb unseres Sonnensystems gesendet werden können?

Wir bald eine Minisonde auf unseren Nachbarplaneten außerhalb unseres Sonnensystems gesendet werden können?

Mittels Lasertechnik soll auf unseren nächsten Nachbarplaneten außerhalb unseres Sonnensystems, der den Stern Alpha Centauri umkreist, eine Minisonde in der Größe eines elektronischen Mikrochips (1) gesendet werden, die diesen Planeten in 20 bis 50 Jahren erreichen würde, weil sie auf ein Viertel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden soll.

Das diesbezügliche Forschungprojekt "Breakthrough Starshot" (1) wurde 2016 von namhaften Leuten (St. Hawking, Zuckerberg ...) ins Leben gerufen. Es gibt allerhand technische Probleme zu lösen (Beschleunigung, Abbremsung, druckbeständiges Material ...) aber die Lösung all dieser Probleme scheint nicht als vollständig irrealistisch angesehen zu werden.

Informationen, die die Sonde zurücksenden wird, würden uns ja - mit Lichtgeschwindigkeit - schon innerhalb von vier Jahren erreichen. Außerdem könnten mit dieser Minisonde einzellige Lebensformen in Form von tiefgekühlten Sporen zu anderen Planeten geschickt werden.

Na, soweit ich die Wikipedia-Artikel dazu im Querlesen überblicke (1-4), gibt es aber derzeit noch keineswegs eine realistische technische Lösung, wie man eine solche Minisonde auf ein Viertel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen könnte. Interessant jedenfalls, was sich die Physiker gegenwärtig alles ausdenken, und daß das technisch alles nicht als ganz so irrealistisch angesehen wird und werden muß als das sonst so bezüglich von Science Fiction-Geschichten getan werden muß.

1. https://de.wikipedia.org/wiki/Breakthrough_Starshot
2. https://de.wikipedia.org/wiki/Interstellare_Raumfahrt
3. https://en.wikipedia.org/wiki/Interstellar_travel
4. https://de.wikipedia.org/wiki/Claudius_Gros
http://www.wissenschaft.de/erde-weltall/raumfahrt/-/journal_content/56/12054/21073488/Lassen-sich-interstellare-Sonden-bremsen?/

Montag, 20. November 2017

Der anatomisch moderne Mensch entstand vor 300.000 Jahren in Afrika

Der anatomisch moderne Mensch entstand vor 300.000 Jahren in Afrika

Die Buschleute in Südafrika weisen eine genetische Kontinuität von mindestens 2000 Jahren auf. Das ist das Ergebnis der Sequenzierung von DNA von drei ihrer Vorfahren, die vor 2000 Jahren lebten (1).

Mit Hilfe der Ergebnisse dieser Sequenzierungen wird aber noch ein viel wichtigeres Ergebnis erzielt. Mit ihnen kann die "molekulare Uhr", die Geschwindigkeit neutraler Mutationen im menschlichen Genom neu geeicht werden. Und wenn man das tut, kommt man darauf, daß die Trennung von anatomisch modernen Menschen und archaischeren Menschenformen schon hundert tausend Jahre früher in Süd-, bzw. Ostafrika stattgefunden hat als bislang angenommen, also zwischen 350.000 und 260.000 Jahren. Was wohl die physische Anthropologie - und hier der wohl wichtigste Fachmann Günther Breuer - dazu sagt?

Man hat ja in diesem Jahr auch in Nordafrika Übergangsformen gefunden, die vergleichsweise alt sind und zeigen, daß wir allmählich ein differenzierteres Bild der Menschwerdung in Afrika vor 300.000 Jahren erhalten.

2000 Jahre genetische Kontinuität ist im übrigen noch nicht sehr viel. Im Vorderen Orient haben wir mit ancient DNA schon 10.000 Jahre genetische Kontinuität festgestellt. Auch für Südafrika wird sie künftig sicherlich als viel weiter zurückreichend nachgewiesen werden, gibt es doch Theorien, daß die Klicksprache der Buschleute die erste Sprache der Menschheit war. Aber das trockene Klima könnte die DNA weiter zurückreichend nicht erhalten haben.

1. Southern African ancient genomes estimate modern human divergence to 350,000 to 260,000 years ago. Carina M. Schlebusch, Helena Malmström, Torsten Günther, Per Sjödin, Alexandra Coutinho, Hanna Edlund, Arie ...., Science Mag, November 2017, http://science.sciencemag.org/content/358/6363/652
http://science.sciencemag.org/content/358/6363/652

Samstag, 18. November 2017

Exoplaneten - Rasante Entwicklungen in der Wissenschaft

Exoplaneten - Rasante Entwicklungen in der Wissenschaft

"Planetensysteme gelten heute in der unmittelbaren Umgebung der Sonne als sicher nachgewiesenes, allgemein verbreitetes Phänomen. Untersuchungen und Messungen des 'Institut astrophysique de Paris' ergaben, dass ein Stern der Milchstraße im Durchschnitt ein bis zwei Planeten hat."

So heißt es auf Wikipedia (2). Puh! Wußte man ja noch gar nicht. Aber auch ein neuer Artikel im "Science Magazine" (1) macht auf die rasanten Entwicklungen in der Erforschung der Exoplaneten aufmerksam. Im letzten Jahr wurden 1460 neue Exoplaneten entdeckt, so viele wie noch in keinem Jahr zuvor (2). Insgesamt sind bislang 3671 Exoplaneten bekannt, die 2751 Sonnen umrunden. Seit 2004 können viele von ihnen sogar direkt und nicht mehr nur indirekt beobachtet werden (2).

Vor einem Jahr wurde entdeckt, daß der zu unserer Sonne nächste Stern "Proxima Centauri" in seiner habitablen Zone von einem erdähnlichen Planeten umrundet wird. Er hat sogar gleich auch noch den bislang höchsten bekannten "Earth Similarity Index" unter allen bislang bekannten 3671 Exoplanenten (4), also die höchste Erdähnlichkeit.

Hm, dann sollte einen dieser Planet ja besonders interessieren ... Ok, und alles prima auf ihm, nur ein Problem sehe ich (3). Er dreht sich nicht wie die Erde um eine eigene Achse, sondern zeigt wie der Mond mit der einen Seite immer zu seiner Sonne hin, mit der anderen Seite immer von der Sonne weg. Hm, das ist nun noch nicht sehr "erdähnlich". Aber was wir auch alles verlangen!

Ich habe das grade mit meiner Tochter gedanklich durchgespielt: Will man auf ihm schlafen gehen, muß man viele hundert Kilometer reisen, damit die Sonne endlich untergeht und es richtig dunkel ist. Will man Tageslicht sehen, muß man wieder viele hundert Kilometer reisen. Da haben wir es dann auf unserer Erde doch etwas einfacher, gemütlicher.

Außerdem ist es auf dem Planeten offenbar sehr sehr kalt (40 Grad minus). Ich verstehe zwar grade noch nicht, auf welcher Seite es so kalt ist. Es dürfte aber ratsam sein, zum Schlafengehen einen guten Schlafsack mitzunehmen. Ein Jahr dauert auf diesem Planeten außerdem nur 11 Tage. Falls es Jahreszeiten gäbe, würden die also ziemlich schnell wechseln, so etwa wie das Wetter. Mit der Periode von 11 Tagen schwankt die zugehörige Sonne auch auf uns zu, bzw. von uns weg aufgrund der Gravitationskräfte. Die Beobachtung in der Schwankung der Lichthelligkeit dieses Sterns führte denn auch zur Entdeckung seines Planeten.

Der zugehörige Stern steht im Sternbild des Zentaur, ist also nur auf der Südhalbkugel zu sehen. Er ist 4,2 Lichtjahre entfernt. Würden wir mit den Leuten dort telefonieren, würde das so sein, als würden wir mit Zeitgenossen telefonieren, die in einer Zeit leben, die vier Jahre vergangen ist. Puh, wäre vielleicht auch ein bisschen langweilig! ;)

1. http://science.sciencemag.org/content/358/6365/877
2. https://de.wikipedia.org/wiki/Exoplanet
3. https://de.wikipedia.org/wiki/Proxima_Centauri_b
4. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_potentiell_bewohnbarer_Planeten
https://de.wikipedia.org/wiki/Exoplanet

Eine neue Studie aus Japan über die Soziobiologie der Arbeitsteilung

Eine neue Studie aus Japan über die Soziobiologie der Arbeitsteilung

Interessanterweise am Fallbeispiel des Abfallbeseitigungs-Managements, das ja in Japan heute noch dringendere Relevanz hat als anderswo

Die soziobiologischen Rationalitäten des Prinzips Arbeitsteilung begleiten meine wissenschaftlichen Interessen seit 1994, seit 1997 habe ich ihnen ein Dissertations-Projekt gewidmet.

Nun beginnen auch zwei japanische Professoren für Evolutionäre Verhaltensforschung, Susumu Ohnuma von Hokkaido und Mayuko Nakamaru aus Tokyo, zusammen mit zwei ihrer Dokoranden im angesehenen "Journal for Theoretical Biology", über das Thema nachzudenken (1). Susumu Ohnuma benennt auf seiner Homepage einige Ausgangspunkte seines Nachdenkens.

Auf den ersten Blick wird mir nicht klar, ob hier die Vorteile von Spezialisierung, die das Prinzip Arbeitsteilung mit sich bringt, überhaupt in Augenschein genommen worden sind. Werden hier nicht nur täuschungsanfällige Kommunikations-Netzwerke mathematisch beschrieben? Auch scheint hier das Konzept Arbeitsteilung nicht in Bezug gesetzt zu werden zu dem grundlegendsten Konzept der Soziobiologie, dem Verwandten-Altruismus.

Somit scheinen die ersten Gedanken der Forscher zu diesem Thema wieder einmal zumindest ähnlich schlicht zu sein wie es meine eigenen am Anfang waren.

Gleich im zweiten Absatz der Studie wurde aber das Prinzip Arbeitsteilung immerhin wieder einmal in eine Reihe gestellt mit den anderen fünf "großen" Konzepten der Soziobiologie. Und das tue ich selbst schon seit 1994, das ist bislang aber sonst nur selten konsequenter getan worden. Schon deshalb muß einem diese Studie bemerkenswert erscheinen. Es dürfte doch auch interessant erscheinen, daß keines der anderen fünf Konzepte die heutige Forschung voll und ganz befriedigt bei der Erklärung des Altruismus, den wir in unserer Gesellschaft vorliegen sehen. Und deshalb sei dieser Absatz hier noch einmal wiederholt:

"Five conditions for the evolution of cooperation can be posited: kin selection, group selection, direct reciprocity, indirect reciprocity, and network reciprocity. Besides these five categories, the effect of punishment on the evolution of cooperation has also been studied. Many previous studies assume players are peers. In actual, empirical contexts we cooperate not only with peers, but also among players with different social roles, between a leader and a subordinate, within groups under hierarchy, or among groups which exhibit hierarchical relationships. In this paper, we focus on cooperation in the division of labor."

_____________

  1. The effect of sanctions on the evolution of cooperation in linear division of Labor, Journal of Theoretical Biology, 2017, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0022519317304708
  2. https://www.let.hokudai.ac.jp/en/staff/4-2-03/

Donnerstag, 16. November 2017

1,2 Millionen Jahre vor heute - Tierknochen in Untermaßfeld in Thüringen

1,2 Millionen Jahre vor heute - Tierknochen in Untermaßfeld in Thüringen

Der Ausgrabungsort Untermaßfeld an der Werra in Thüringen war bislang vermutlich nur Fachleuten bekannt. Hier werden seit den 1970er Jahren im Flußbett der Werra massenhaft - 14.000 - Knochen von Tieren wie

- Säbelzahnkatzen (Megantereon cultridens und Homotherium crenatidens)
- der Europäische Jaguar (Panthera onca gombaszoegensis)
- der Europäische Puma (Puma pardoides)
- eine ausgestorbene Gepardenart (Acinonyx pardinensis)
- eine ausgestorbene Luchsart (Lynx issiodorensis)
- die Riesenhyäne (Pachycrocuta brevirostris)
- ein Wildhund Xenocyon lycaonoides
- Wölfe (Canis lupus mosbachensis) sowie
- Vorfahren des heutigen Braunbären

aus der Zeit vor 1,2 Millionen und 900.000 Jahren, also zur Zeit des Homo erectus ausgegraben. Obwohl ich selbst in der Gegend - in Nordhessen - aufgewachsen bin, habe ich von diesem Ausgrabungsort bislang noch nie gehört. Seit 2013 behauptet der deutsche Paläontologe Günther Landeck in drei Studien, daß es an diesem Ort auch Hinweise auf die Anwesenheit von Homo erectus gäbe. Da für diese Zeitstellung Homo erectus aber nur aus viel südlicheren Gegenden bekannt ist, fing die Fachwelt an, dieses Ergebnis anzuzweifeln (1). Die Herkunft und der Aufbewahrungsort der entscheidenden Knochen und Steinwerkzeuge sind gegenwärtig nicht geklärt. Die Kontroverse darum ist mitten im Gange.

Immerhin wird dadurch der Ausgrabungsort über die engere Fachwelt hinaus bekannt. Vielleicht waren die drei Studien nur als Public relation-Gag angelegt - ? Aber der Preis für diesen dürfte ziemlich hoch sein, wenn Günther Landeck dafür seine wissenschaftliche Reputation aufs Spiel setzte.

1. Even Callaway: Archaeologists say human-evolution study used stolen bone. Nature, November 2017, http://www.nature.com/news/archaeologists-say-human-evolution-study-used-stolen-bone-1.22984
2. https://de.wikipedia.org/wiki/Unterma%C3%9Ffeld
http://www.nature.com/news/archaeologists-say-human-evolution-study-used-stolen-bone-1.22984

Mittwoch, 15. November 2017

Dokumentation über das Leben von Werner Heisenberg (2011) - Brauchbar

Dokumentation über das Leben von Werner Heisenberg (2011) - Brauchbar

"Mein" Werner Heisenberg ist es nicht vollständig und vollgültig, der in dieser Dokumentation aus dem Jahr 2011 (1) dargestellt wird. Aber um einen Eindruck von diesem Leben zu bekommen, mag er sicher seinen Sinn haben. Werner Heisenberg hat aber ein zu schönes Buch als Autobiographie geschrieben, nämlich sein "Der Teil und das Ganze - Gespräche im Umkreis der Atomphysik", als daß der tiefe, nachhaltige und breite Eindruck der Lektüre dieses Buches durch irgend etwas anderes ersetzt werden könnten.

Fast noch die besten Passagen dieser "historischen" Dokumentation sind jene im 6. Teil, die vom von Heisenberg mitgegründeten CERN-Forschungszentrum in Genf handeln, wo der Physiker sagt, daß die Heisenberg'schen Probleme heute immer noch voll und ganz die heutigen Forschungsprobleme sind!

Aber er ist der einzige in der Dokumentation, der nicht "antikisierend", "erinnernd" spricht, sondern aus der Gegenwart heraus.

Für Heisenberg und seine Generation war ja noch alles neu. Aber indem man das alles noch einmal Revue passieren läßt, wird es dadurch nicht "neu". Neu ist das, was heute passiert. Und das ist eigentlich noch spannender als dieses "Antikisierende".

Wir - bzw. die Physiker - sind es heute ja "gewohnt", mit dem Ungewöhnlichen der Quantenwelt umzugehen. Mir ist das heutige Sprechen aus dem Forschungsalltag heraus lieber als - sozusagen - das "Bimbamborium", das die alt gewordenen Schüler Heisenbergs in der Dokumentation um diese Quantenwelt machen. Philosophische Deutungen dieser Forschungen zu geben, konnte Heisenberg selbst viel besser als jeder seiner Schüler und wohl auch als jedes seiner Kinder.

Übrigens arbeitet der Film auch vieles Brisante und ungeheuer Schwere in Heisenbergs Leben längst nicht genügend heraus. Sein Leben hatte sehr viele Facetten. Inzwischen ist auch seine langjährige Liebe zu einer Schwester von C. F. von Weizsäcker bekannt geworden, bevor er heiratete. Solche Dinge, die im "offiziellen" Heisenberg-Bild nicht vorkommen, hätte man doch wenigstens erwähnen können.

1. Thomas Gonschior: Werner Heisenberg und die Frage nach der Wirklichkeit. In sechs Teilen. Bayerischer Rundfunk 2011, https://www.youtube.com/watch?v=yZ_bGiSUHZA
https://www.youtube.com/watch?v=yZ_bGiSUHZA&feature=share

Samstag, 11. November 2017

Ancient DNA der Indogermanen - Auf Wikipedia nur ungenügend erwähnt

Ancient DNA der Indogermanen - Auf Wikipedia nur ungenügend erwähnt

Der deutschsprachige Wikipedia-Artikel erwähnt an etwas versteckter Stelle, nämlich in dem Unterabschnitt "Kurgan-Hypothese" die neuen Erkenntnisse aus der Ancient-DNA-Forschung seit 2015, und zwar ganz richtig folgendermaßen:

"Eine 2015 veröffentlichte genetische Studie von Forschern der Harvard Medical School in Boston stützt Gimbutas Theorie. Die Forscher wiesen zwei Einwanderungswellen nach Europa nach. Zuerst kamen zwischen 5000 und 6000 v. Chr. die ersten Ackerbauern über Anatolien aus dem Nahen Osten. Dabei erwiesen sich Funde aus Spanien, vornehmlich der Linienbandkeramiker in Deutschland und ihren Vorläufern der Starčevo-Kultur (von Serbien bis Ungarn) als sehr eng verwandt. Nach 4000 v. Chr. muß es dann eine massive Einwanderung aus den südrussischen Steppen gegeben haben. Denn die Forscher stellten fest, daß die DNA der untersuchten, zentraleuropäischen Schnurkeramiker zu 75 Prozent mit der von Angehörigen der Jamnaja-Kultur übereinstimmt, einer Nachfolge-Kultur des Kurganvolkes."

Das ist völlig richtig. Ich glaube nur, daß ein eigener Abschnitt zur Ancient-DNA-Forschung der Bedeutung dieser Ergebnisse eher gerecht wird und habe als solchen vorschlagsmäßig eingepflegt:

=== Ancient DNA ===
Seit 2015 kann erstmals genetisches Material aus archäologisch gewonnenen menschlichen Knochenfunden aus ganz Europa (Kleinasien, Mitteleuropa, Rußland westlich des Ural, Spanien, England) in größerer Zahl ausgewertet werden. Das Ergebnis ist, daß die Ancient-DNA-Forscher heute davon ausgehen, daß die Menschen der frühneolithischen Kultur der Bandkeramik von ihrer genetischen Herkunft her zu mehr als 90 Prozent von einer mediterranen Ursprungsbevölkerung in Kleinasien abstammten, daß die mittelneolithischen Kulturen entstanden, indem sich die untergehenden Bandkeramiker mit "einheimischen" westlichen Jäger-Sammler-Völker vermischten, so daß der Anteil der Menschen mit genetischer Herkunft aus dem europäischen Mesolithikum auf bis zu 17 % anwuchs, und daß die spätneolithischen Kulturen der Schnurkeramiker und Glockenbecher entstanden durch massive Zuwanderung von Indogermanen aus dem Nordschwarzmeer-Gebiet, die sich mit den Menschen der mittelneolithischen Kulturen Mitteleuropas vermischten. Das Urvolk der Indogermanen entstand, wie David Reich jüngst in einem Vortrag äußerte, durch Vermischung osteuropäischer Jäger-Sammler mit frühneolithischen Bauern des Irans. Nach Ansicht der Ancient-DNA-Forscher stellt dies die definitive Entscheidung dar zwischen den vielen alternativen Hypothesen zur Entstehung und Ausbreitung der Indogermanen. Es darf gesagt werden, daß die Kurgan-Hypothese von Marija Gimbutas durch diese vollauf bestätigt worden ist.

https://de.wikipedia.org/wiki/Indogermanen
https://de.wikipedia.org/wiki/Indogermanen

Freitag, 10. November 2017

Indogermanen - Mischung von frühen Bauern aus dem Iran mit Herdenhaltern an der Wolga

Indogermanen - Mischung von frühen Bauern aus dem Iran mit Herdenhaltern an der Wolga

Hier im neuesten Vortrag von David Reich ist eine neue Information enthalten, die so deutlich zuvor noch von niemandem nirgendwo geäußert worden ist meines Wissens, und die auch noch unpubliziert ist:

Die Indogermanen sind "eine Mischung aus frühen Bauern im Iran und Jäger-Sammlern in der osteuropäischen Steppe."

Das war erahnbar, aber noch nicht definitiv ausgesprochen. Und wenn es definitiv ausgesprochen ist, sieht alles gleich ganz anders aus! Der Vortrag wurde am 12. Juli 2017 gehalten, vor vier Monaten. Ich selbst hatte am 2. Juli meinen eigenen Beitrag über die Herkunft der Indogermanen veröffentlicht, ebenfalls ausgelöst durch einen etwas früheren Vortrag von David Reich, in dem sich mein Wissen um diese Herkunft - wie gesagt - schon andeutete. Aber jetzt ist sie sicher! Wow, wow, wow.

David Reich sagt, daß die Yamnaja, das Urvolk der Indogermanen, das erste Volk gewesen wäre, daß in die offenen Grassteppen entlang der großen Flüsse (also Wolga usw.) eingedrungen sei. (Hm!) Und das wäre möglich gewesen durch zwei Erfindungen, die es zuvor nicht gegeben habe, nämlich das Rad und die Domestikation des Pferdes. Dadurch konnten sie den Lebensraum Steppe nutzen zur Herdenhaltung.

Ihre Gräber wären eindrucksvoll und reich, aber sie hätten keine Wohnhäuser hinterlassen, da sie mobil gewohnt hätten. Nun gut, aber insgesamt sind seine Ausführungen über die Ethnogenese der Indogermanen dennoch sehr "unscharf", möchte ich meinen. Ich wies schon darauf hin, daß die Archäologie bislang nur wenige eindeutige Hinweise gefunden hat für die Zeit der Ethnogenese der Indogermanen für Kontakte zwischen ihrem Entstehungsraum und der frühen iranischen Bauernkultur. Für spätere Zeiten sind diese Verbindungen dann sehr wohl aufzuzeigen.

Was David Reich zum Beispiel gar nicht erwähnt ist, daß die Vorgänger-Kultur der Yamnaja, die Elshan-Kultur, die erste Kultur Europas gewesen ist, die Keramik hergestellt hat, nämlich um 7.500 v. Ztr., übernommen von China her. Dies scheint ein wesentlicher Umstand, denn hier zeichnet sich schon viel Fortschrittlichkeit und Innovationsfreude ab.

Außerdem wies ich selbst auch auf die Ausbreitung der Hirse von Nordchina nach Westen in dieser Zeit hin, verbunden - wahrscheinlich - mit der Ausbreitung der osteuropäischen Hausmaus von Nordchina nach Westen. Mit beiden Vorgänge muß auch die Ethnogenese der Indogermanen etwas zu tun gehabt haben, die ja zumindest recht früh auch in großen Städten gewohnt haben. Zumindest Dörfer wären auch für Hirse und Hausmaus vorauszusetzen, diese sind vermutlich nur noch nicht gefunden worden. Am Aralsee hat man entsprechendes für jene Zeitstellung schon gefunden.

Diese Ausführungen sind deshalb so wichtig: Denn sie, die Indogermanen, dort ganz, ganz weit draußen an der Mittleren Wolga, noch mehrere tausend Kilometer weiter heute von uns entfernt als unsere Großväter 1942 kamen, als sie Stalingrad eingenommen hatten, diese Leute sind UNSERE direkten Vorfahren.

Mit ihrer Zuwanderung nach Mitteleuropa (als Schnurkeramiker und Glockenbecherleute) endet das Neolithikum und beginnt die Bronzezeit. Und seit dieser Zuwanderung hat sich die genetische Zusammensetzung der Europäer nicht mehr grundlegend geändert! WIR sind Indogermanen und tragen all ihre reichen angeborenen und kulturellen Begabungen in uns, die zu dem "Human Accomplishment" geführt haben im Verlauf der Menschheitsgeschichte, das Charles Murray nachgewiesen hat (siehe gleichnamiges Buch).

Was aber künftig noch weiter erforscht werden wird, ist der Umstand, daß nach unserer Ethnogenese am Beginn der Bronzezeit unsere Haut durchschnittlich noch heller geworden ist (aufgrund von genetischer Selektion) und sich auch die Erwachsenenrohmilchverdauung aufgrund von Selektion ausgebreitet hat. Also auch noch nach der Ethnogenese hat es innerhalb der europäischen Völker Selektion gegeben, die nicht vernachlässigt werden kann, und deren Umfang derzeit und künftig noch genauer herausgearbeitet werden muß.

Insgesamt: Wir leben in spannenden Zeiten was die Erforschung unserer Herkunft betrifft. Frühere Generationen würden vor Schock umfallen über die vielen Erkenntnisse, die ihrer Weltsicht widersprechen dabei, aber vielleicht auch über die vielen Erkenntnisse, die genau das bestätigen, was sie auch schon gesagt hatten. Man denke etwa an die Kurgan-Hypothese von Marijan Gimbutas, die rundum und vollauf bestätigt worden ist durch diese Forschungen. Andere Jahrzehnte lang viel diskutierten Hypothesen über den Ursprung der Indogermanen - etwa die Anatolien-Hypothese - wurden definitiv widerlegt.

Ebenso wissen wir jetzt, was bislang ein Rätsel war, daß die gleichzeitig und oft auf engem Raum nebeneinander lebenden Glockenbecher-Leute und Schnurkeramiker beides Völker waren, die von den Indogermanen aus der Steppe abstammten (außer den Glockenbecher-Leuten in Spanien, die auffallenderweise einheimischer Abstammung sind).

Und zu ihnen sagt Reich auch noch etwas Spannendes. In Ungarn und in Südfrankreich hätte man Glockenbecher-Leute nebeneinander begraben gefunden (Ehepaare), von denen der eine rein indogermanischer und der andere rein vorindogermanisch-spanischer Abstammung war. Irre! Was war das für eine Ausnahmekultur? Diese Grablegungen können ja nur in der Generation des Zusammenkommens dieser beiden Abstammungslinien entstanden sein, denn sonst hätten sie nicht beide unvermischte Abstammungen gehabt. Und Ungarn und Südfrankreich liegen nicht gerade dicht beeinander. Das war also offenbar ein sehr weit verbreitetes Phänomen, daß Glockenbecher-Leute spanischer Abstammung nach Mitteleuropa kamen und dort zusammen mit Glockenbecher-Leuten indogermanischer Abstammung lebten. War das die erste nachweisbare "Weltreligion" der Weltgeschichte? Diese Möglichkeit deutet auch Reich an.

Und diese Glockenbecherleute hätten zu mindestens 90 % die bisherige Bevölkerung in Großbritannien schlichtweg ersetzt. Das war - unter anderem - jener berühmte Bogenschützen-Fürst aus Süddeutschland, der die Bronzezeit nach Stonehenge brachte und Stonehenge erbaute. Die haben Tabula Rasa mit der einheimischen Bevölkerung gemacht, Völkermord würde man heute sagen (wenn diese nicht an Seuchen oder anderem zugrunde gegangen ist). In der Mittleren Bronzezeit finden sich aber immerhin wieder 20 % einheimische vorbronzezeitliche britische Gene bei den Briten. Diese haben sich also aus Rückzugsräumen wieder ausgebreitet, ein ähnliches Phänomen, das man ja schon im Mittleren Neolithikum in Mitteleuropa finden konnte.

David Reich sagt abschließend, wir befinden uns gerade auf einer Entdeckungsreise wie die europäischen Entdecker des 15. bis 19. Jahrhunderts. Sie entdeckten dauernd neue Völker, neue Ethnien. Nun, meistens kennen wir diese nun alle schon, aber wir ergänzen diese damalige Aufnahme der Gegenwarts-Situation durch die historische Tiefendimension. Ein schöner Vergleich wie ich finde.

_____________________________________

1. David Reich: Midsummer Nights' Science: The Eliana Hechter Memorial Lecture (2017), https://www.youtube.com/watch?v=pgXYfLkRdJ0&t=1121s
2. http://studgendeutsch.blogspot.de/2017/07/neue-forschungen-zur-entstehung-der.html
https://www.youtube.com/watch?v=pgXYfLkRdJ0&feature=share

"Anthropisches Prinzip" - Nur in der Kosmologie oder auch in der Evolution?

"Anthropisches Prinzip" - Nur in der Kosmologie oder auch in der Evolution?

Es hat viele große Massenaussterbe-Ereignisse auf der Erde während der Evolution gegeben, geradezu in regelmäßigen Abständen und wohl jedesmal ausgelöst durch Asteroiden-Einschläge. Seit 1970 ist das bekannt geworden und wird erforscht. Es paßt so ganz und gar nicht in das neodarwinische Paradigma hinein, denn schon kurze Zeit nach dem Massenaussterben hat es neue Arten-Explosionen gegeben, wie sie bei dem vom Neodarwinismus vorausgesetzten langsamen, stetigen Anhäufen von Punktmutationen gar nicht zu erwarten wären.

Bei so vielen Einschlägen im "Jahrmillionen-Takt" dürfte es schon erstaunlich sein, daß alle diese vielen Einschläge, die rund um die Erde nachzuweisen sind, weil sie Krater hinterlassen haben, zwar jeweils so stark waren, daß das Leben "fast" ausgestorben ist, jedenfalls oft bis zu 90 % aller Arten, aber niemals so stark, daß alles Leben ausgestorben ist. Man hat fast das Gefühl, daß schon dieser Umstand allein auf ein neues, ebenfalls überhaupt nicht in das neodarwinische Denkkonzept passendes "Anthropisches Prinzip" hinaus läuft, nämlich daß sogar Astroideneinschläge - aufgrund irgendwelcher Umstände - in ihrer Stärke so präzise "modelliert", "abgestimmt" zu sein scheinen, "dosiert" zu sein scheinen, daß eben Leben jeweils weiter gehen kann, obwohl es jeweils immer wieder dicht vor dem völligen Auslöschen steht.

Aber diese japanischen Wissenschaftler spitzen ja nun die - offenbare, irgendwie "vorgesehene" (?) - schon bisher feststellbare "Präzision" der Asteroiden-Einschläge ein weiteres mal zu: Nur 13 % der Trefferfläche auf der Erde lieferte womöglich genug aufgewirbelten Kohlenstoff, um jenes Massenaussterben stattfinden zu lassen, daß vor 65 Millionen Jahren zum Aussterben der Dinosaurier führte. Wie gelang es dem Asteroiden, genau ein Stück dieser 13 Prozent zu treffen? Und wömöglich frühere und spätere Asteroiden ebenfalls? Alles "nur" Zufall?

Seit Manfred Eigen ("Das Spiel") sollten wir eigentlich wissen, das Naturgesetze den Zufall nicht eliminieren, sondern steuern, und daß deshalb Kosmologie und Evolution so spannend sind. Denn Spiele, in denen das Zufallselement überwiegt, sind in der Regel ebenso langweilig wie Spiele, in denen Gesetzmäßigkeiten ("Spielregeln") überwiegen. Und diese Kosmologie und Evolution, die wir erleben, SIND ein großes Spiel, in dem nichts festliegt außer den Regeln, wie Manfred Eigen so schön sagt. Und in dem wir selbst Mitspieler sind, nie ganz frei, nie absolut unfrei in unseren Entscheidungen. Unheimlich und zugleich beglückend.

http://www.spektrum.de/news/dinosaurier-hatten-einfach-pech/1518115
http://www.spektrum.de/news/dinosaurier-hatten-einfach-pech/1518115

Donnerstag, 9. November 2017

Mittelneolithische Kulturen in Deutschland genetisch zu 17 % einheimisch

Mittelneolithische Kulturen in Deutschland genetisch zu 17 % einheimisch

Eine spannende neue ancient-DNA-Studie ist heute erschienen. Ich darf grade das zusammenfassen, was ich aus dieser heraus lese (der Link zu ihr findet sich im Artikel und ist frei zugänglich):

1.

Bei der Ethnogenese der Bandkeramik am Plattensee (hier Transdanubien, sprich Westungarn) um 5.500 v. Ztr. gab es einen Anteil einheimischer Jäger-Sammler-Gene von wahnsinnig geringen 4 bis 5 %!!

2.

Eindeutig mittelneolithische DNA aus Deutschland hat diese Studie bislang nur von 7 Individuen auswerten können (Zeitstellung 4.600-3000 v. Ztr.). Hier ist der Anteil der einheimischen Jäger-Sammler-Gene (die den DNA eines Jäger-Sammler-Individuums aus Luxemburg ähneln, also westeuropäisch sind) beträchtlich höher: 17 %!!! Und das dürfte das wesentlichste Ergebnis der Studie für die deutsche Archäologie sein. Die sieben Individuen wurden bei Esperstedt, Halberstadt, Quedlinburg und Salzmünde gefunden. Das dürfte dann Rössener und Baalberger Kultur sein, wenn ich recht sehe und es wird sich damit um genetische Vorfahren der Trichterbecherkultur handeln. Man wird aber bezüglich dieser 17 % bei sieben Individuen gerne noch auf eine größere räumliche und zeitliche Auflösung gespannt sein.

3.

Spannend ein weiteres mal die Blätterhöhle in Westfalen, weil hier in einem Rückzugsraum um 4.000 v. Ztr. sich noch eine eindeutige Mischbevölkerung gehalten hat, in der der Anteil der Jäger-Sammler-Gene noch bis zu 70 % hoch sein kann, in der aber auch der Anteil der Bauern-Gene schon mindestens 25 % beträgt.

4.

David Reich sagt in seinem jüngsten Youtube-Vortrag, daß sie schon massenhaft in den Laboren weitere ancient-DNA-Daten weltweit gesammelt haben, aber mit der Auswertung gerade gar nicht nachkommen! Hier ist offenbar viel zu tun für Nachwuchswissenschaftler auf einem wahnsinnig spannenden und bedeutenden Forschungsgebiet, nämlich der definitiven Erkenntnis vom Werden, Vergehen und Weiterleben der Völker!

1. http://science.orf.at/stories/2876854/
2. Parallel palaeogenomic transects reveal complex genetic history of early European farmers. In: Nature, 2017
http://science.orf.at/stories/2876854/

Mittwoch, 8. November 2017

Ancient DNA - Vortrag von Johannes Krause (Jena)

Ancient DNA - Vortrag von Johannes Krause (Jena)

Hier fasst Johannes Krause noch einmal sehr kurz und eindringlich die definitive Antwort auf die Frage zusammen, wie die heutigen europäischen Völker - im wesentlichen bis zum Beginn der Bronzezeit - entstanden sind laut der Ergebnisse der ancient-DNA-Forschung der letzten fünf Jahre.

Eine Frage, die die Archäologen 100 Jahre lang vor große Rätsel stellte, und die im Wesentlichen in den wenigen fünf Jahren geklärt wurden, die wir gerade erlebt haben.

Zwei bedeutende weiße Flecken auf der Landkarte unseres Wissens gibt es noch:

1. Wie entstanden jene Keramikkulturen in Kleinasien, die die Landwirtschaft nach Europ brachten? Genetisch unterscheiden sie sich ja - laut - Hauptkomponentenanalyse von den heutigen Türken ebenso deutlich wie von den vorkeramischen Kulturen des Fruchtbaren Halbmonds. Es deutet also alles darauf hin, daß sie entstanden sind als eine Mischung zwischen europäischen und vorderorientalischen Völkern, daß mit ihnen also womöglich "europäische" Gene "zurück" nach Europa kamen. Die nächsten heutigen genetischen Verwandten dieser Bauern sind ja dementsprechend auch die Einwohner Sardiniens, also Europäer.

2. Die Indogermanen entstanden offenbar aus einer Vermischung nordeuropäischer Jäger/Sammler mit Kaukasus-Kulturen.
https://youtu.be/V_XOqpixIeU

Suche nach neuem Paradigma - Für die Erforschung der Menschheitsgeschichte

Suche nach neuem Paradigma - Für die Erforschung der Menschheitsgeschichte

Die interdisziplinäre Erforschung der Menschheitsgeschichte läuft immer deutlicher auf jene Zusammenhänge hinaus, die ich auf meinen Blogs seit Jahren betone: Daß die Evolution des Menschen, seiner Kulturen, seines Altruismus und seiner Innovationsfähigkeit immer in VÖLKERN stattgefunden hat. Das wird so ausgesprochen natürlich von den Wissenschaftlern selten gesagt und betont, oft noch nicht einmal gedacht, denn es könnte ja nur hinderlich sein bei der Beantragung von Forschungsgeldern. Die von ihnen gefundenen Daten weisen nur alle - alle - darauf hin!

Nun ist im September 2017 am "Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte" in Jena eine neue internationale wissenschaftliche Gesellschaft gegründet worden, die "Cultural Evolution Society" (CES), zu deutsch die "Gesellschaft für Kulturevolution" (1). Das war zunächst ja nur ein abstrakter Name, der nicht viel bedeuten braucht.

Schaut man sich aber das Programm der Gründungs-Konferenz an (2), wird schnell deutlich, daß es sich um eine brisante Gesellschaft handelt und daß man das überwältigende internationale Interesse der wissenschaftlichen Gemeinschaft womöglich sogar als ein deutliches Signal empfinden kann. Und ebenso vor allem auch die Frage nach einem neuen, umfassenden Forschungsparadigma. Behandelt wurden viele jener Themen, die mir auch im Rahmen meines eigenen Dissertationsprojektes (das seit 1996 läuft!) wichtig geworden sind. Themen waren zum Beispiel:

- Kulturelle Evolution und Wirtschaft
- Gene und Kultur (!)
- Historische Dynamiken
- Institutionen und das Anwachsen der politischen Komplexität
- die Entstehung der Landwirtschaft
- ethnische Marker und Grenzen (!)
- kulturelle Makroevolution
- Religion und Altruismus

Womöglich löst diese neue wissenschaftliche Gesellschaft die Brisanz der bisherigen traditionellen Soziobiologie ab (die sich in der HBES vereinigt hatte). Leider scheint es von den Tagungsbeiträgen keine Kurzzusammenfassungen (Abstracts) zu geben. Auf diese, bzw. die Tagungsbände darf man gespannt sein.
_____________________________________

1. http://www.shh.mpg.de/621407/ces-conference
2. https://www.shh.mpg.de/357406/cesc2017-programme, bzw. https://www.shh.mpg.de/616544/final-program_7sep17.pdf
http://www.shh.mpg.de/621407/ces-conference

Sonntag, 5. November 2017

Alison Balsom in Nürnberg 2017

Alison Balsom in Nürnberg 2017

Ein einmaliges Konzert von und mit Alison Balsom. Eine Feierstunde mit vielen Höhenpunkten. Ganz eigentümlich die Zusammenstellung der Musik, ganz eigentümlich das Programm.
https://www.youtube.com/watch?v=-ROhTvgG0Ak&feature=share

Samstag, 4. November 2017

Geschichte Mitteldeutschlands Gustav Adolf II Der Kampf um Magdeburg


König Gustav Adolf von Schweden - Der Löwe aus dem Norden

Eine sehr sehenswerte Dokumentation über die vielleicht entscheidendste Phase des Dreißigjährigen Krieges. Wohl durchaus passend im Lutherjahr 2017: Die Belagerung von Magdeburg und das entsetzliche Massaker, in dem 20.000 seiner Einwohner ermordet werden im Mai 1931, der Jubel des Papstes über dieses Massaker, über die "Ausrottung" des "Ketzernestes", die tiefe Niedergeschlagenheit der Protestanten Deutschlands und der Welt nach diesem Ereignis. - - - Und dann die Wende: Gustav Adolf II. von Schweden siegt in der Schlacht von Breitenfeld gegen das katholische Würgerheer, das ganz Deutschland wieder katholisch gemacht hätte, wenn Gustav Adolf nicht eingegriffen hätte. In verschiedenen Varianten zu recht überliefert ist deshalb der Spruch, der auf dem Gedenkstein noch heute auf dem Schlachtfeld von Breitenfeld bei Leipzig steht:

„Glaubensfreiheit für die Welt,
rettete bei Breitenfeld,
Gustav Adolf, Christ und Held.“

All diese Geschehnisse sind noch heute sehr bewegend.

Gustav Adolf scheint als Mensch für seine Zeiten ungewöhnlich human gewesen zu sein. Während die Soldaten unter den Feldherren vor und nach ihm plünderten, raubten, vergewaltigten, mordeten, wo sie nur konnten, hat Gustav Adolf sehr sorgsam auf Zucht und Ordnung in seinem Heer gesorgt. Das zeigen viele seiner Anweisungen (2). Sehr sorgsam und verantwortungsbewußt ging er als Militär vor. Das sieht man schon an seiner außerordentlich umsichtigen Vorbereitung des Havellandes zwischen den Festungen Rathenow, Spandau, Potsdam und Brandenburg, in das er sich zur Not zurück ziehen wollte, falls die voraussehbare Entscheidungsschlacht gegen die Kaiserlichen weiter südlich zu seinen Ungunsten ausgehen würde (2).

Aus dieser umsichtigen Vorbereitung hat sich zum Beispiel auch die erste gründliche topographische Karte des Havellandes erhalten, die der Kartograph des Königs aus diesem Anlaß angefertigt hat. Sogar die Wasserstände der Havel wurden sehr sorgsam eingetragen, um zu wissen, an welcher Stelle der Feind Furten zum Übergang durch den Fluß nutzen könnte. Wie es scheint, war Gustav Adolf in vielem seiner Zeit voraus (2).

Und soweit ich das übersehen kann, hat kein Feldherr sonst des Dreißigjährigen Krieges so umsichtig gehandelt, war auch um die kranken Soldaten seines Heeres besorgt, war darum besorgt, daß sie ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt waren, ohne daß die Bürger und Bauern, die die Nahrung liefern mußten, unnötig und über Gebühr dadurch belastet wurden. So alles wörtlich seinen Anweisungen zu entnehmen.

Auch scheint er sich bewußt gewesen zu sein, wie viel von dem militärischen Erfolg seines Unternehmens abhing. Er war kein leichtfertiger Draufgänger.

1. Voelker, Judith: Gustav Adolf II. - Der Kampf um Magdeburg. Reihe "Geschichte Mitteldeutschlands". MDR-Geschichte, 2014
2. Schröer, Fritz: Das Havelland im Dreißigjährigen Krieg. Ein Beitrag zur Geschichte der Mark Brandenburg, neu ergänzt und herausgegeben von Gerd Heinrich. Böhlau-Verlag, Köln, Graz 1966 (325 S.)
3. http://preussenlebt.blogspot.com/2017/11/das-westhavelland-im-dreiigjahrigen.html
https://www.youtube.com/watch?v=yQkWqmFApqI&feature=share

Mittwoch, 1. November 2017

Ackerbau - Er entwickelte sich bei Ameisen und Menschen in trockenen Habitaten zuerst

Ackerbau - Er entwickelte sich bei Ameisen und Menschen in trockenen Habitaten zuerst

Unsere Landwirtschafts-Kollegen, die Ameisen. Auf die Idee des Ackerbaus mit domestizierten Pflanzen sind sie schon lange, lange vor uns gekommen, zu einem Zeitpunkt, als noch sehr, sehr lange von uns nicht die Rede sein konnte, nämlich vor 30 Millionen Jahren (1). Eine Geschichte der menschlichen Landwirtschaft aus Perspektive der Ameisen-Landwirte wäre eine Geschichte über "Spätlinge" (2) ....

Wie war es aber bei den Ameisen? Zunächst - seit 60 bis 55 Millionen Jahren - gab es nur eine lose Abhängigkeit zwischen bestimmten Pflanzen und ihren Ameisen-"Kultivierern". Das heißt, die jeweiligen Pflanzen konnten auch unabhängig von ihren "Landwirten" fortexistieren (1, 2). Die echte Domestizierung fand dann erst vor 30 Millionen Jahren statt, wohl dadurch, daß die Pflanzen-anbauenden Ameisen auch in trockeneren Habitaten überlebten, wo die jeweils angebauten Pflanzen für sich gar nicht hätten überleben können. So die Erkenntnis einer neuen Studie (1). Indem die Ameisen die von ihnen angebauten Pflanzen so isolierten, unterwarfen sie diese Pflanzen neuen Selektionsdrücken, die sie von ihren wilden Verwandten fortpflanzungsmäßig trennten.

Vielleicht ist es nur eine zufällige Parallele: Aber so wie beim Menschen entstand also auch bei den Ameisen der Ackerbau nicht im feuchten Regenwald, wo die anfängliche lose Abhängigkeit evoluiert war, sondern in den trockeneren Habitaten.

Auch der "Fruchtbare Halbmond", der die Oberläufe von Euphrat und Tigris mit einschließt und den Levanteraum, wo die europäischen Getreidearten vor zehn- bis zwölftausend Jahren von den dortigen Menschenvölkern domestiziert worden sind, stellte ein trockenes Habitat dar. In vielen menschlichen Völkern, die niemals zum Ackerbau übergegangen sind, galt wildes Getreide als Hungerpflanze. Sie wurde nur in äußersten Notzeiten geerntet, wenn nichts anderes mehr zu finden war.

Und mit dem Ackerbau kam der Übergang von der muse- zur arbeitsintensiven Lebensweise beim Menschen. Wir Menschen wurden - oft - "Ameisen" ....

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1. Branstetter, M., Ješovnik, A., Sosa-Calvo, J., Lloyd, M., Faircloth, B., Brady, S., & Schultz, T. (2017). Dry habitats were crucibles of domestication in the evolution of agriculture in ants Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 284 (1852) DOI: 10.1098/rspb.2017.0095, http://rspb.royalsocietypublishing.org/content/284/1852/20170095?cpetoc
2. http://inspiringscience.net/2017/04/20/the-origins-of-ant-agriculture/

http://rspb.royalsocietypublishing.org/content/284/1852/20170095?cpetoc

Domestikation - Auch bei Hunden brachte sie eine Verarmung der Verhaltensdifferenzierung mit sich

Domestikation - Auch bei Hunden brachte sie eine Verarmung der Verhaltensdifferenzierung mit sich

Wer hätte das gedacht? Das bestätigt wieder einmal Konrad Lorenz und seine These, daß Domestikation von Tieren mit Verlusten an differenziertem Verhalten verbunden sein kann, nun sogar bei Hunden im Vergleich zu Wölfen. 80% der domestizierten Hunde weltweit leben ohne Beschränkungen, quasi wild (1). Das kann man ja gut zum Beispiel in der Türkei beobachten. Über sie heißt es in einer neuen Studie, die in der Heimatstadt von Konrad Lorenz, am wissenschaftlichen Zentrum für Wölfe in Wien gemacht wurde (1):

"Studies of free-ranging dogs [which form 80% of the world-dog population] show that, although group hunting can occur, foraging is mostly carried out solitarily on human refuse and that there is little allomaternal care of pups. Indeed cooperation in free-living dogs appears to be largely limited to territorial defense."

Also Hunde haben eine ganze Menge ihres Wolfsverhaltens verloren und scheinbar auch über viele Generationen hinweg nicht zurück gewonnen. In einem Versuchsaufbau, in dem schon viele intelligente, kooperative Tierarten meist erfolgreich getestet wurden wie Schimpansen, Makaken, Elefanten, Papageien, Krähen und Raben, waren Wölfe nun größtenteils erfolgreich, Hunde aber nicht. Die Aufgabe war, gemeinsam gleichzeitig an zwei Seilenden zu ziehen, um eine Freßbelohnung zu erhalten. Hunde können das nicht, Wölfe sehr wohl. Abschließend heißt es in der Studie (1):

"Dogs appear to exhibit different behavioral strategies than wolves when interacting with conspecifics: showing fewer formal signals of dominance but higher intensity of aggression, a more persistent use of avoidance and distance maintenance in managing conflicts in the feeding context, and a reduced inclination to coordinate actions in a cooperative task (present results)."

Hunde haben es also verlernt, ihr Leben untereinander reibungsloser zu koordinieren. Dominanz und Unterordnung sind verlernt, dafür ist allgemeine Aggression größer und sie halten auch mehr auf räumlichen Abstand, um Konflikte untereinander bei der Fütterung zu vermeiden.

1. Importance of a species’ socioecology: Wolves outperform dogs in a conspecific cooperation task. Sarah Marshall-Pescinia; Jonas F. L. Schwarza, Inga Kostelnika, Zsófia Virányia, and Friederike Range; Published online before print October 16, 2017, doi: 10.1073/pnas.1709027114, PNAS October 31, 2017 vol. 114 no. 44 11793-11798, http://www.pnas.org/content/114/44/11793.abstract.htm
http://www.pnas.org/content/114/44/11793.abstract.htm