Neolithische Frauen in Deutschland - Armstark wie Ruderinnen,
Neolithische Männer - Beinstark wie Querfeldeinläufer
Das ist ein spannender Bericht in "Bild der Wissenschaft" darüber, daß neolithische Frauen in Mitteleuropa stärkere Armmuskeln hatten als heutige Profi-Ruderinnen (1). Schaut man in die zugängliche Originalstudie hinein (2), wird deutlich, daß BdW gar nicht alles berichtet, was in der Studie als bekannt referiert wird. In der Originalstudie werden Männer und Frauen verglichen und dabei auch Armknochen mit Beinknochen. Und damit wird nämlich - sozusagen - der Geschlechtsdimorphismus in der körperlichen Konstitution und im Verhalten von Männern und Frauen im Neolithikum und in der Bronzezeit deutlich.
Die Beine der neolithischen Männer in Deutschland (ab 5.500 v. Ztr.) hatten nämlich Muskeln wie die heutiger Querfeldeinläufer ("Cross country running"). Das heißt, sie waren durchgängig ganz schön viel unterwegs und verdammt gut trainiert. Von der dicht besiedelten bandkeramischen Kultur und ihren Nachfolgekulturen ist dementsprechend ja auch Fernhandel gut dokumentiert (etwa anhand von Feuerstein-Funden und ähnlichem). Man mag sich an den Ötzi in den Osttiroler Alpen aus der Zeit um 3.300 v. Ztr. erinnern, der ebenfalls ein fleißiger Fußgänger war, und der auch gut den genetisch-anthropologischen Menschentypen charakterisiert, der damals in Europa lebte. Erst ab 3.500 v. Ztr. kam der Rinderwagen in Verbreitung und mit ihm ging über die Bronzezeit hinweg allmählich auch das Beintraining der Männer zurück. Ab der Eisenzeit bewegte es sich auf einem Niveau, das die Männer auch im Mittelalter hatten (und wohl immer noch höher war als das heutige).
Allerdings: All das bezieht sich natürlich zunächst auf die Durchschnittsbevölkerung. - Ich erinnere mich, daß der in der Stiftskirche von Engern in Westfalen begrabene Widukind, der Gegner Karls des Großen und seine beiden Begleiter, um 800 n. Ztr. Bein- und Armmuskeln von Hochleistungssportlern hatten, insbesondere solche, die man zum Reiten und damaligen Kriegsführen braucht.
Soweit also das, was bisher schon bekannt war. Nun sind in dieser Studie die Frauen untersucht worden. Die Beine der neolithischen Frauen hatten eine ähnlich große Vielfalt an Muskeln wie es auch heutige Frauen und Männer haben. Das heißt, es gab hochtrainierte unter ihnen, die viel unterwegs waren (ja, ja, jetzt kommt natürlich wieder einigen Lesern der Buchtitel "Wanderhure" in den Sinn). Aber die meisten von ihnen waren wenig unterwegs, einige scheinen sich sogar im Vergleich zu heute unterdurchschnittlich wenig vom Fleck gerührt zu haben.
Bekannt war auch schon, daß die Frauen im Neolithikum auffallend stark ihre rechten Arme brauchten, die stärkere Muskeln hatten als ihre linken Arme. Dieser Unterschied glich sich erst in der Bronzezeit aus. Mir scheint es dafür noch keine gute Erklärung zu geben. Es wird ausgeführt, daß im Neolithikum Handmühlen für einen Arm benutzt wurden, während in der Bronzezeit Handmühlen für zwei Arme in Gebrauch kamen. Aber sollte man bei einer so anstrengenden, dauerhaften Tätigkeit die Arme nicht wechseln?
Bei Tennisspielern reagieren männliche Knochen auf Dauerbelastung stärker als weibliche Knochen. Dasselbe findet man auch bei Ratten. So daß die Forscher vermuten, daß weibliche Arbeitsbelastung in den Knochen nicht so gut sichtbar wird wie bei Männern. Das alles nun in Rechnung gestellt, kommen die Forscher bei ihren neuen Untersuchungen zu den Ergebnissen, die von BdW referiert werden, nämlich daß neolithische Frauen ihre Arme durchgängig noch stärker beanspruchten als heutige Profi-Ruderinnen.
Interessant ist noch die Angabe, daß Kinder bei den Bandkeramikern schon zwischen dem 2. und 7. Lebenjahr sehr viel Zeit entfernt vom Hof verbrachten, vermutlich als Hirten des Weideviehs. ("Juveniles appear to have been more often participating in livestock herding than cultivation, a specialization that may have contributed to some young LBK boys (~2 to 7 years of age) at Stuttgart-Mühlhausen spending large amounts of time away from the site in their late childhood and early youth.") In der Studie werden noch einige Einschränkungen gemacht zum Vergleich neolithischer Frauenarmmuskeln zu denen heutiger Ruderinnen, da 73 % der Studienteilnehmerinnen die Antibaby-Pille während der Studie genommen hatten, was auch Einflüsse haben könnte auf die Knochenstärke.
Aber insgesamt wird die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern sehr deutlich: Die Männer gingen auf die Jagd, hüteten das Vieh, betrieben Handel und auswärtige Angelegenheiten, waren bei der Bewirtschaftung der Felder zugange, die Frauen steckten ihre Arbeitskraft unter anderem in das Mahlen des Getreides. Im Winter werden beide Geschlechter zugleich gedroschen haben, das war in traditionellen bäuerlichen Bevölkerungen so üblich, dabei wurden die Armmuskeln gebraucht.
1. http://www.wissenschaft.de/kultur-gesellschaft/anthropologie/-/journal_content/56/12054/21284036
2. http://advances.sciencemag.org/content/3/11/eaao3893.full
3. https://de.wikipedia.org/wiki/Mahlstein
https://de.wikipedia.org/wiki/Mahlstein
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